Der Voodoo gehört zu Deutschland

Der seltsamste Satz, den ich in diesem Jahr gehört habe, lautete: »Der Islam gehört zu Deutschland.« Er ist besonders hinten seltsam. Doch nicht nur das. Er ist auch die verkappte Paraphrase von der deutschen Leitkultur.

Als unser hochgeschätzter, ehemaliger Ministerpräsident von Niedersachsen diesen Satz prägte, reagierten insbesondere die Deutschnationalen in der CDU verstimmt. Das hatte seinen guten Grund, haben die Deutschnationalen doch die Deutungshoheit über den Schwanz des Satzes: »Deutschland«. Sie wissen ganz genau, wer, was und wo Deutschland ist. Sie haben von Deutschland ein ebenso klares Bild, wie Sie und ich vom Pferd. Deshalb können wir sagen: Die Mähne gehört zum Pferd. Die Hufe gehören zum Pferd. Die Nüstern gehören zum Pferd. Wir können das sagen, weil wir genau wissen, was ein Pferd ist. Ein Pferd ist ein Pferd und kein Tisch. Die Deutschnationalen wissen, was wir nicht wissen, nämlich, was Deutschland ist. Und weil sie das wissen, wissen sie auch, was zu Deutschland gehört. Offensichtlich sind die Deutschnationalen der Meinung, das Christentum gehöre zu Deutschland, wohl weil das Christentum dieses Land jahrhundertelang terrorisiert hat und die Kirchen heute mit Hilfe atheistischer Steuergelder so tun, als ob sie christliche Nächstenliebe übten. Der Islam gehört für die Deutschnationalen dagegen nicht zu Deutschland, was auch völlig verständlich ist, hat der Islam dieses Land eben noch nicht jahrhundertelang terrorisiert. Der Islam gehört für die Deutschnationalen ebenso wenig zu Deutschland, wie die Zecken in der Haut des Pferdes zum Pferd gehören.

Nun ist das mit dem Pferd so eine Sache. Wissen wir wirklich, was ein Pferd ist? Oder wissen wir nur, was ein Pferd für uns ist? Was ein Pferd für sich ist, wissen wir eigentlich nicht. Immerhin ist ein Pferd ein Wesen, das sich selbst erhalten kann, was man von Deutschland nicht so ohne weiteres behaupten kann. Aber selbst wo ein Pferd anfängt, und wo es aufhört, wissen wir nicht. Gehören die Bakterien im Darm des Pferdes, die die Nahrung verdaulich machen, zum Pferd oder nicht? Und was ist mit der Weide oder der Herde? Wenn wir zu wissen glauben, was ein Pferd ist, so haben wir es uns eigentlich bloß zu eigen gemacht. Es ist der galoppierende Sinneseindruck auf einer Weide, an der wir entlang spazieren, den wir der Einfachheit halber »Pferd« nennen. Es ist das Vehikel unserer Gier, wenn wir auf der Pferderennbahn Geld auf Platz oder Sieg setzen. Oder es ist der rheinische Sauerbraten auf dem Sonntagstisch.

Die Deutschnationalen machen es mit Deutschland ebenso. Deutschland ist der flüchtige Sinneseindruck in der Sonntagsrede eines Politikers oder das Vehikel ihrer Gier, wenn sie unsere Steuergelder in ihre Taschen umlenken oder es ist das Schlachtfeld für ihre Kriege.

Wenn der Spaziergänger, der Rennbahnbesucher und der Metzger sich nicht darüber einigen können, was ein Pferd ist, wie sollen wir dann jemals über Deutschland einig werden? Irgendwo in Deutschland wird gerade sicher jemand Wachspuppen mit Nadeln quälen. Gehört deshalb der Voodoo zu Deutschland? Oder müssen es erst vier Millionen Voodoo-Puppen werden, bevor ein ehemaliger Ministerpräsident sich hinstellt und verkündet: der Voodoo gehört zu Deutschland.

Wer nicht weiß, wer, was und wo Deutschland ist, wird den Satz des ehemaligen Ministerpräsidenten vielleicht als experimentelle Erweiterung des Deutschlandbegriffes sehen. Das haben viele getan, die das Gedankenexperiment des ehemaligen Ministerpräsidenten gleich aufnahmen und fortspannen: Der Atheismus gehört zu Deutschland. Die freie Liebe gehört zu Deutschland. Roland Koch gehört zu Deutschland. Das mag kreativ sein, hilft aber nicht wirklich weiter, weil auch hier Deutschland wie das Pferd lediglich vereinnahmt wird.

Aufschlussreich ist allerdings der Umkehrschluss. Der ehemalige Ministerpräsident sagte bekanntlich nicht »Deutschland gehört zum Islam«, obwohl vermutlich nur dieser Satz den Weltherrschaftsanspruch vieler Moslems befriedigen würde. Soweit folgen wir dem ehemaligen Ministerpräsidenten gerne. Man kann den Satz so aber auch als etwas intelligentere Paraphrase der deutschen Leitkultur lesen. Der Islam gehört zu Deutschland und nicht umgekehrt. Wobei wir dann aber immer noch nicht wissen, wer, was und wo Deutschland ist.

Auch wenn es für ein Fazit nicht hinreicht – eins können wir festhalten: Während Mähne, Hufe und Nüstern ohne Pferd und ein Pferd ohne Mähne, Hufe und Nüstern ein ziemlich armseliges Bild abgeben, können Islam und Deutschland sehr gut allein klarkommen. Und vielleicht sollte man auch nicht wie der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen den Eindruck erwecken, es sei anders.