Minarette basteln für den Weihnachtsbaum

Ich bin Atheist. Und ich bin gegen die Religionsfreiheit. – Das erste bedarf zumindest im Europa des 21. Jahrhunderts wohl keiner Rechtfertigung mehr. Den Menschen, denen man dies erklären müsste, predigte man ohnehin vergeblich. Jedoch die Religionsfreiheit abzulehnen, dürfte bei den meisten aufgeklärten Menschen zunächst auf Ablehnung stoßen, da man sie gemeinhin für eine der großen Errungenschaften der westlichen Zivilisation und ein unverzichtbares Menschenrecht hält.

Nun ist die Religionsfreiheit im Allgemeinen keine Errungenschaft der modernen westlichen Zivilisation. Es gab sie zu allen Zeiten und in jeder Weltgegend. In polytheistischen Gesellschaften, wie sie in der Antike vorherrschten, erübrigte sie sich sogar, da man, solange man nicht anfing, wichtige staatstragende Götter zu leugnen, jedem beliebigen Gott opfern konnte. Alexander der Große hat bei seinem Eroberungszug im Osten, die örtlichen Kultstätten und ihre Opfergemeinschaften unangetastet gelassen. Kublai Khan ließ nicht nur alle Religionen in seinem Reich gewähren, er vermied auch, sich selbst auf eine festzulegen. Religionen wurden erst in dem Moment zu einem Problem, als sie ein Monopol beanspruchten. Mit dem Monotheismus begann die Religionsdiktatur. Juden, Christen, Moslems – sie alle dürfen keinen Gott neben dem jeweils einzigen haben, und Christen und Moslems müssen überdies auch noch missionieren. Ihr Glaube soll in letzter Konsequenz Weltreligion mit universalem Herrschaftsanspruch werden. Sie dulden deshalb bestenfalls andere Religionen neben sich, im Grunde befinden sich beide in einem permanenten heiligen Krieg, einem teleologischen Endkampf bis zum jüngsten Gericht.

Die Religionsfreiheit, so wie wir sie im Westen verstehen, wurde dem totalitären Herrschaftsanspruch der christlichen Kirche in der Reformation und den sich anschließenden Religionskriegen unter zahllosen Opfern und nie gekannten Leiden abgerungen. Sie war im Kampf gegen den Totalitarismus der christlichen Kirchen bisher unsere schärfste Waffe. Wer unbedingt an einen Gott glauben will, soll dies um Gottes Willen tun, ohne andere Menschen, die an einen anderen oder gar keinen Gott glauben, auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.

Doch diese Waffe ist stumpf geworden. In einer Zeit, in der die Hölle niemandem mehr Angst macht, in der immer mehr Menschen ohne Religion aufwachsen und sehr gut ohne Gott auskommen, missbrauchen die Kirchen die Religionsfreiheit und interpretieren sie zu ihren Gunsten um. Die Religionsfreiheit muss nun dafür herhalten, dass christliche Glaubensgemeinschaften in den öffentlich-rechtlichen Medien Sendezeit zugesprochen bekommen, die sie in eigener Regie füllen dürfen. Die Religionsfreiheit gibt ihnen, so argumentieren sie, das Recht, in jedem Ethikrat vertreten zu sein, der vom Parlament berufen wird. – Ob die Abgeordneten selbst zu wenig Ethik besitzen, um ohne Hilfe über bestimmte Sachverhalte urteilen zu können, ist eine interessante Frage, die aber nicht hierher gehört. – Die Religionsfreiheit, so die Kirchen weiter, gibt ihnen das Recht, in Kindergärten und Schulen ihren Glauben zu verbreiten, Kirchensteuern mit Hilfe staatlicher Beamter einzutreiben, in regelmäßigen Abständen die Glocken zu läuten, und sonntags die Arbeit aller Menschen ruhen zu lassen.

Die Kirchen haben die Religionsfreiheit in ein Religionsprivileg umgedeutet, was bei Menschen, die für ihren Gott einen universalen Herrschaftsanspruch formulieren, keine Überraschung ist.

Nur weil wir uns seit Jahrhunderten an die Arroganz und den totalitären Herrschaftsanspruch der christlichen Kirchen gewöhnt haben, fällt uns diese Umdeutung der Religionsfreiheit gar nicht auf. Wir nennen diese Gewöhnung an den Totalitarismus einfach ›die christlich geprägte Kultur Europas‹ und belassen es dabei. Nun aber machen es die Moslems in Europa den Christen nach und interpretieren unsere in blutigen Bürgerkriegen erkämpfte Religionsfreiheit ebenfalls als Religionsprivileg und beginnen damit, neben die Kirchtürme Minarette zu bauen. Gestützt auf das Grundrecht der Religionsfreiheit und bestärkt durch hohe Geburtenraten und Zuwanderung will sich der Islam in Europa ebenso ausbreiten wie das Christentum. Kaum hatten wir die Anmaßungen der christlichen Kirchen einigermaßen eingezäumt, taucht eine andere Religion in Europa auf, die weitaus politischer ist als das Christentum der letzten 100 Jahre. Und politisch agierende Religionen – das sollten wir in Europa noch wissen – sind eine Gefahr für die Demokratie, weil sie einen Herrschaftsanspruch haben, der jede demokratische Legitimierung sprengt. Das gilt für Kreationisten, die den Biologieunterricht unterwandern, ebenso wie für Moslems, die die Scharia einführen. Und da wir uns an die Anmaßungen des Islams nicht seit Jahrhunderten gewöhnen durften – eine Subordination, die man wohl islamisch geprägte Kultur nennen muss – macht uns die Islamisierung Europas Angst. Und ich denke mit Recht. Denn der Islam wirft uns im Kampf gegen die Anmaßungen der Religionen um Jahrhunderte zurück. Religionen sind ein Atavismus, der überwunden werden muss. Religionen schüren Angst und segnen den Hass auf Andersdenkende.

Dass die christlichen Kirchen das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung bedauern, ist daher nur zu verständlich, da die Schweizer Bevölkerung damit das Religionsprivileg eingeschränkt hat. Sie verbieten – momentan noch einer bestimmten – Religionsgemeinschaft ihren Herrschaftsanspruch durch auffällige Bauten zu manifestieren. Diese Einschränkung könnte, falls sie Bestand hat, jederzeit auf die christliche Religion ausgedehnt werden: die Schweizer könnten beispielsweise den Einfluss der christlichen Kirchen auf die Medien oder den Schulunterricht eindämmen.

Dass die Volksabstimmung in der Schweiz von einer rechten Partei initiiert wurde und die Rechten in Europa über die Entscheidung der Schweizer jubeln, ist fatal, denn die rechten Ideologien unterscheiden sich in ihrer teleologischen Struktur kaum von den monotheistischen Religionen. Die von der Vorsehung erwählte arische Rasse erscheint uns ja nicht ohne Grund wie das verzerrte Spiegelbild des auserwählten Volkes. Und der Kommunismus mit seiner historischen Teleologie einer notwendig entstehenden idealen Gesellschaft ist in weiten Teilen eine Variation des Urchristentums mit seiner verklärten Weltgeschichte, die in einem jüngsten Gericht, der proletarischen Revolution der Christen, ihren pompösen und endgültigen Schlusspunkt findet.

Es ist schlimm, dass diese Gruppierungen die Angst der Bevölkerung vor dem Islam ausnutzen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Und es wäre falsch, diese Leute einfach gewähren zu lassen, sodass sie in der Öffentlichkeit zu Meinungsführern werden können. Es ist aber genauso falsch, gegen diese Leute die Religionsfreiheit als Errungenschaft der westlichen Demokratie ins Feld zu führen und dabei in Wirklichkeit gemeinsam mit den christlichen Kirchen das Religionsprivileg zu verteidigen.

Und wer weiß, wie viele Schweizer mit ihrem Votum eben nicht dumpf rassistisch muslimische Zuwanderer diskriminieren wollten, sondern gegen den politischen Islam gestimmt haben. Eine Volksabstimmung lässt nun einmal nur ein Ja oder Nein zu und bietet keinen Raum für differenzierte Begründungen. Wir sollten daher nicht alle Schweizer mit den Initiatoren der Abstimmung in einen Topf werfen. Dem Islam Grenzen aufzuzeigen, ist nicht einfach nur die tumbe Fortführung der Kreuzzüge mit anderen Mitteln oder Ausdruck einer rassistischen Gesinnung, sondern kann auch dem Wunsch entsprungen sein, die Errungenschaften der Aufklärung nicht unnötig aufs Spiel zu setzen.

Die Religionsfreiheit ist eine persönliche Freiheit, ein Schutz des Einzelnen vor den Anmaßungen der Kirchen oder religiösen Herrschern. Sie ist kein institutionelles Privileg, das Glaubensgemeinschaften erlaubt, mit dem Hinweis auf die Religionsfreiheit TV-und Radioprogramme, Lehrpläne, Ladenöffnungszeiten oder Bauverordnungen zu beeinflussen.

Was also soll die Vernunft nun tun? Auf der einen Seite stehen Religionsgemeinschaften, die öffentliche Räume besetzen und ihrem totalitären Herrschaftsanspruch durch weithin sichtbare Bauwerke einen architektonischen Ausdruck geben, auf der anderen Seite stehen rechte Gruppierungen, die ihre Chance gekommen sehen, sich der verängstigten Bevölkerung als Retter des christlichen Abendlandes zu präsentieren.

Die von der Achse des Guten gegeißelten Gutmenschen werden vielleicht in diesem Winter Minarette aus Goldpapier und Lametta basteln und an ihre Weihnachtsbäume hängen, um ihre Solidarität mit dem unterdrückten Islam zum Ausdruck zu bringen. Und die liberalen Moslems werden ihre Moscheen öffnen, damit Christen und andere Gottsucher mit exotischem Schauder einen Blick auf die schönen Perserteppiche und Arabesken werfen können. Die Verdrängung geht ebenso viele Wege wie die Vertuschung.

Uns Atheisten bleibt dagegen wieder nur die trügerische Hoffnung, dass sich Rechte, Christen und Moslems gegenseitig umbringen und uns dabei verschonen. – Nein wir haben nicht wirklich eine Wahl. Wir müssen endlich unsere Stimme erheben und Privilegien für die Vernunft einfordern. Es wird Zeit, die Religionsfreiheit, wenn schon nicht als Freiheit von Religion, so doch wenigstens als Schutzparagraph vor den Anmaßungen der Religion zu definieren. Auch die Vernunft und der Atheismus haben eine Mission! Wir sollten aufhören, uns in der Öffentlichkeit zu verstecken wie es Schwule und Lesben viel zu lange gemacht haben. Der große atheistische Teil der Bevölkerung schweigt noch viel zu häufig zu den Anmaßungen der Religionen, wenn uns Atheisten beispielsweise Werbeflächen in Bussen und Bahnen oder Sendezeit in den Medien für unsere Botschaften verweigert werden.

Und wir sollten uns sehr viel mehr und aktiv um Integration bemühen und dieses Geschäft mit den Seelen der Menschen nicht den christlichen Kirchen überlassen. Uns verbindet sehr viel mehr mit dem säkularen Türken als mit dem blonden, blauäugigen Kreationisten.

Das Minarettverbot in der Schweiz hat eine vermeintliche Spaltung der Gesellschaft deutlich gemacht: hier die mit Ängsten kämpfenden und von Ressentiments durchdrungenen mehr oder weniger gläubigen Europäer – dort die von Ressentiments durchdrungenen und um Identität und Anerkennung ringenden mehr oder weniger gläubigen Moslems. Die Kirchen sprechen gerne davon, eine Brücke zu schlagen. Und genau dies lehne ich ab, denn diese Brücke würde über die große Gruppe atheistischer Weltbürger hinweg geschlagen werden, die den Schlüssel zur Überwindung dieser Konflikte in den Händen hält. Die Vernunft ist der eigentlich Kitt unserer Gesellschaft, nur sie ist in der Lage, das Handeln vieler Menschen so zu steuern, dass die Lösung der zahllosen Probleme, vor denen wir stehen, möglich erscheint. Hunger, Armut, der Klimawandel, die Energiekrise, soziale, ethnische und politische Konflikte – diese Probleme sind nur mit Vernunft zu lösen, nicht durch Religionen und Ideologien.

Wir Atheisten müssen aus unseren intellektuellen Schutzräumen heraustreten und am Kampf der Kulturen aktiv teilnehmen. Diesen Kampf vom wissenschaftlichen Elfenbeinturm oder den wohlhabenden Vororten aus, in denen ohnehin keine Moscheen gebaut würden, lediglich interessiert zu verfolgen, ist ebenso fahrlässig wie die Toleranz gegenüber der Unvernunft. Wir sind nicht so schwach, wie es momentan aussieht. Es gibt uns überall auf der Welt. Im christlichen Amerika ebenso wie im iranischen Gottesstaat. Uns verbindet eine tiefe Skepsis gegenüber Religionen, Ideologien und einmal aufgestellten Wahrheiten. Uns verbindet der Wunsch, das Wissen der Menschheit zu mehren und das Leben der Menschen durch wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt zu verbessern. Was wir brauchen, ist ein atheistisches Coming-out!