Spiel nicht mit dem Totenschädel!

Früher war alles viel einfacher, da mussten deutsche Soldaten bloß zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie Wiesel sein. Heute sollen sie auch noch feinfühlig wie Pietistinnen über die Schlachtfelder stiefeln. Vor allem sollen sie sich aber auf einer morgendlichen Patrouillenfahrt nicht zusammen mit einem im Staub gefundenden Totenschädel amüsieren und dabei auch noch fotografieren lassen! Deutsche Soldaten haben die tödliche Langeweile am Hindukusch, wo bekanntlich seit einigen Jahren unsere Freiheit verteidigt wird, mit stoischem Gleichmut zu ertragen!

Während nichts so boomt wie der makabre Unterhaltungsmüll in unseren Unterschichtensendern, sollen ausgerechnet unsere Soldaten der Faszination kahler Schädel die kalte Schulter zeigen. Man lasse einmal einen Totenschädel in einer anderen Wüste der Langeweile, auf einem deutschen Schulhof, herumliegen und beobachte die anschließende Balgerei um einen gemeinsamen Auftritt mit Gevatter Tod. Abscheulich? Ekelerregend? Selbst im Theater, diesem Hort bürgerlich kanalisierter Affekte mag man bekanntlich nicht auf das leichte Kribbeln verzichten, das sich unter den auf hohem Niveau gelangweilten Zuschauern ausbreitet, wenn Hamlet mit dem makabren Schädel in der Hand über die Bretter schreitet und über Sein und Nichtsein philosophiert.

Doch die Bildzeitung hat starken Tobak ausgegeben und unsere Politiker stimmen wie Marionetten an den Fäden der Schlagzeilen alle in den griechischen Chor der Entrüstung und des Abscheus ein. Fast hat man den Eindruck, deutsche Soldaten hätte noch nie etwas Abscheulicheres getan als sich mit einem Totenschädel in der afghanischen Wüste gegenseitig zu fotografieren. Seltsam nur, dass die Bildzeitung die Fotos just an dem Tag bringt, als sich der Verteidigungsausschuss in Berlin mit den Foltervorwürfen gegen die Bundeswehr im Fall Kurnaz und damit mit einem wirklichen Skandal befassen will.

Ganz Berlin schüttelt sich also vor Entsetzen und schreit Zeter und Mordio. So meint unser Jung, seines Zeichens Verteidigungsminister: das Verhalten der Soldaten stehe »im diametralen Gegensatz zu dem, was wir unseren Soldaten an Werten und Verhaltensweisen in Ausbildung und Erziehung mitgeben. Die Bilder erregen Abscheu und absolutes Unverständnis.« Und er kündigt mit vor Entrüstung bebender Stimme eine sofortige schonungslose Aufklärung mit allen dienstrechtlichen, disziplinarrechtlichen und gegebenenfalls auch strafrechtlichen Konsequenzen an. Seltene Einigkeit auch im Bundestag. Alle sind schockiert und fragen sich mit dem PDS-Abgeordneten Wolfgang Gehrke: »Was muss in Köpfen junger Menschen vorgehen, dass es zu einer derartigen Verrohung und Entmenschlichung kommen kann?« Tja, dass frage ich mich auch. Wie können junge Menschen, die im öffentlichen Dienst den feinen Beruf des Tötens gelernt haben, nur so etwas Abscheuliches tun?

Ich bin sicher, dass die Bundesregierung in Kürze sogar die Gesetze verschärfen wird, denn wenn man den Paragrafen 168 genau liest, dürfte das Treiben der Soldaten wohl kaum den Straftatbestand der Störung der Totenruhe erfüllen, falls sie den Schädel im Staub am Wegesrand und nicht auf einer »Aufbahrungsstätte, einer Beisetzungsstätte oder einer öffentlichen Totengedenkstätte« gefunden haben. Vielleicht haben die Soldaten ihn sogar von afghanischen Polospielern bekommen, die bei Turnieren gelegentlich statt eines Balles einen Schädel zum Spielen nehmen. Das berichtet jedenfalls Thomas Pany in Telepolis: »Während einer Reise in Grenzgebiete zwischen Pakistan und Afghanistan habe ich mehreren Polospielen zugeschaut. Im Rahmen größerer festlicher Turniere gab es immer wieder kleinere Schauspiele, wo der Ball durch einen Totenschädel ersetzt wurde, sehr zur Erheiterung der ortsansässigen Zuschauer, die sich noch steigerte, als sie die verblüfften Gesichter der westlichen Besucher sahen.«

Trotz allem, man lamentiert lautstark in Berlin. Da frage ich mich: Haben wir vielleicht die falschen Leute in die Wüste geschickt? Hätten wir statt der grobschlächtigen Söhne der Unterschicht die distinguierten Top-Manager aus der Oberschicht zur Verteidigung unserer Freiheit dort hinunterschicken sollen? So ein Manager ginge bestimmt kühl und distanziert an den sterblichen Überresten eines Menschen am Wegesrand vorbei, wenn sich damit kein Profit erzielen lässt. Ein Manager müsste in den Augen der nervösen Politiker in Berlin eigentlich der ideale Soldat sein. Ausgestattet mit einem untrüglichen Killerinstinkt weiß er, wie man zuschlägt und die Schuld Taiwanesen im Speziellen oder der Globalisierung im Allgemeinen in die Schuhe schiebt. Vor allem gehen sie lächelnd über Leichen ohne deren Totenruhe zu stören. Unsere Soldaten dagegen persiflieren Hamlet und ergötzen sich am schaurigen Utensil! Welch ein Exzess! Ein zweites Abu Ghraib!

Geradezu wollüstig beten unsere Politiker die alte Leier herunter, dass man nun verstärkt mit Anschlägen von Islamisten rechnen muss. Und da sie sich so einmütig und vernehmlich entsetzen, müsste eigentlich bald jeder Islamist von der Totenschändung erfahren haben.

Berlin will die Sache jedenfalls aufklären. Einige hoffen wohl noch, dass es sich bei dem Schädel um den Kopf eines ehemaligen Sowjetsoldaten handelt und nicht um einen toten Muslim. Man glaubt wohl, erstere ungestraft schänden zu können, während man bei letzteren schon wieder mit tanzenden Derwischen, brennenden Strohpuppen und rücksichtslosen Anschlägen rechnen muss.

Wie man den Schädel auch dreht und wendet. Wenn wir sichergehen wollen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt, sollten wir die 2730 deutschen Soldaten in Afghanistan schleunigst gegen 1000 deutsche Manager austauschen! Die räumen erstens viel effektiver auf als deutsche Soldaten und schaffen es zweitens totsicher, die Schuld an kollateralen Schäden kleinen, fiesen Taiwanesen oder gar den Taliban in die Schuhe zu schieben. Nur beim Sold müssen wir dann noch eine haushaltsverträgliche Lösung finden.

Nachtrag: Gestern meldete eine afghanische Nachrichtenagentur, dass bei Angriffen der ISAF-Truppen im Süden des Landes 90 Zivilisten getötet worden seien. Darüber entrüstet sich niemand. Das will auch niemand rückhaltlos aufklären. Zivilisten töten ist wohl nicht so schlimm. – Solingen den 27.Oktober 2006