Hosianna?

Fast könnte man den Eindruck bekommen, dass der ganze Kosovokrieg nur veranstaltet wurde, um dem deutschen Kanzler und SPD-Vorsitzenden pünktlich auf die Minute eine Steilvorlage für den Europawahlkampf zu liefern. Über das ganze Gesicht wie ein Hannoveraner Honigkuchenpferd strahlend verkündete Gerhard Schröder heute in Köln den Frieden auf dem Balkan. Und der finnische Präsident Ahtisaari tat, nachdem er lang und breit seinen eigenen Part bei dem Verhandlungserfolg erläuterte, sein Möglichstes, um den Namen seines deutschen Gastgebers in den Annalen der Geschichte zu verewigen, und versah den EU-Plan für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Südosteuropas mit Schröders Namen.

Joschka Fischer als Architekt der G-8-Vereinbarung und Gerhard Schröder als Namenspatron für den Marschall-Plan II: der Erfolg sei ihnen gegönnt, wenn es denn ein Erfolg wird.

Tschernomyrdin und Ahtisaari haben dem Diktator von Belgrad wohl endlich klar machen können, dass niemand mehr da draußen auf seiner Seite steht. Und von der Entschlossenheit der Nato konnte er sich wochenlang aus erster Hand überzeugen. Kommt nun der Frieden? Können die Flüchtlinge nun zurückkehren? Werden die Serben nun keine Kriegsverbrechen mehr begehen?

Für Freudensprünge sei es noch zu früh, soll Kofi Annan gesagt haben, womit er sicherlich Recht hat. Niemand sollte sich vorschnell Hoffnungen machen. Noch steht kein einziger Nato-Soldat im Kosovo. Und selbst wenn eine schwer bewaffnete Friedenstruppe einmarschiert, garantiert dies noch lange nicht den Frieden im Kosovo. Wer weiß, ob Milosevic nicht eben diese Friedenstruppe in einen Guerillakrieg hineinziehen will, der zwar so begrenzt ist, dass er keine erneuten Nato-Luftschläge rechtfertigen würde, aber ausreicht, um die Kosovaren von einer Rückkehr in ihre Heimat abzuhalten?

Milosevic muss Zeit gewinnen, denn seine Zeit ist abgelaufen. Falls ihm die Russen nicht aus panslawischer Gefühlsduselei Asyl gehen, ist er auf Gedeih und Verderb seinem eigenen Volk ausgeliefert, das ihn vielleicht nur zu gerne nach Den Haag ausliefern würde, um zumindest sein eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen. Denn nach einem militärisch erzwungenen Frieden im Kosovo stehen weitere Fragen an: Was geschieht mit den Kriegsverbrechern, allen voran Milosevic? Wer fahndet nach ihnen? Wann werden sie ausgeliefert? Eine Frage, deren Beantwortung sicherlich noch viel böses Blut machen wird. Denn diese Fragen müssen beantwortet werden, immerhin hat die Nato diesen Krieg im Namen der Menschenrechte geführt!

Erst wenn das Regime Milosevic verschwunden ist, die Kriegsverbrecher verurteilt wurden und Serbien demokratischer wird, können wir ein leises Hosianna anstimmen. Denn die seelischen Wunden, die die Natobomben geschlagen haben, werden nur langsam verheilen. Wie lange werden die Serben Europa, das sie wochenlang bombardiert hat, den Rücken kehren? Es gibt nicht viel, mit dem Europa und der Westen die Herzen der Serben erobern könnte, denn wir schenken ihnen nichts, noch nicht einmal die Befreiung von Milosevic.

Nun ja, ich vergaß die Millionen Euro aus dem Schröder-Plan. Doch von diesem Kuchen bekommen die Serben wohl erst dann etwas ab, wenn sie Milosevic ans Haager Tribunal überstellt haben. Mit dieser Geste hätten sie dann allerdings unsere Herzen gewonnen. – Solingen 3. Juni 1999