Einstweilige Verfügung gegen Serbien

Ist die Nato im falschen Film, oder wir?

Das Ziel des Nato-Militärschlags sei die Verhinderung einer humanitären Katastrophe, sagen unsere Politiker. Da frage ich mich doch, ob die Nato-Bomber im falschen Film fliegen oder wir im falschen Kino sitzen? Denn Luftangriffe auf serbische Stellungen werden die humanitäre Katastrophe im Kosovo wohl kaum stoppen. Wie soll man die in kleinen Gruppen agierenden Säuberungskommandos der Serben mit Luftangriffen von ihren ethnischen Säuberungen abhalten? Der Radio-Journalist Bierdel berichtete sogar, dass sich die in Pristina lebenden Serben bewaffnet haben, so dass man auch einen Völkermord wie in Ruanda nicht mehr ausschließen kann.

Die Tragödie von Jugoslawien ist, dass dort Welten aufeinander treffen. Auf der einen Seite das hochtechnisierte Bündnis aus wirtschaftlich starken und demokratischen Staaten, auf der anderen Seite die letzte europäische Nachkriegsdiktatur in einem wirtschaftlich bankrotten Land. Hier die 2 Milliarden Dollar teuren Tarnkappenbomber, die mit ihren intelligenten Waffen die Logistik einer ganzen Armee in wenigen Tagen vollständig ausschalten können, dort eine im Guerillakrieg erfahrene Miliz, die auch ohne diese Logistik albanische Zivilisten ermorden kann, notfalls mit bloßen Händen.

Selbst wenn die Nato die militärischen Anlagen der Serben in Grund und Boden bombt, nimmt die humanitäre Katastrophe im Schatten der Luftangriffe ungestört weiterhin ihren Lauf. Wenn sich dann in einer Woche der Pulverdampf gelegt hat, kriechen die serbischen Generäle aus ihren Schlupfwinkeln, steigen über die Trümmer ihrer zerbombten Kasernen und können Milosevic melden: Auftrag erfüllt, alle Albaner vertrieben oder tot.

Wenigstens wird der Nato so ein verlustreicher Bodenkrieg erspart bleiben, denn in einer Woche wird kaum noch jemand übrig sein, den man schützen könnte.

Jelzin: »Wir stehen moralisch über den Amerikanern«

Die Russen werfen der Nato vor, das Völkerrecht zu brechen. Dieser Vorwurf ist rein formal gesehen nicht unberechtigt, in Wirklichkeit ist er zynisch. Denn es waren die Russen, die ein völkerrechtlich einwandfreies UN-Mandat für diesen Militärschlag durch ihr Veto im Weltsicherheitsrat verhindert haben. Und es war der russische Schirm, unter dessen Schutz die Serben seit fast einem Jahrzehnt ihre brutalen Bürgerkriege führen konnten.

Das Pochen Russlands und Chinas auf das Völkerrecht wirft ein bezeichnendes Licht auf die seit 1945 herrschende Weltordnung. Ohne das Veto dieser beiden Staaten wäre der Eingriff im Kosovo eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit. Vielleicht hätte man dann auch schon viel früher und effektiver gehandelt. Wir aber leben in einer Übergangsphase. Die alte fein säuberlich ausbalancierte Weltordnung, in der sich Ost und West feindlich gegenüberstanden und in der Menschenrechte eine völlig untergeordnete Rolle spielten, ist verschwunden. Eine an den Menschenrechten orientierte neue Weltordnung ist aber noch nicht an die Stelle der alten getreten, denn Russland und vor allem China sperren sich noch dagegen.

Konsens ist Nonsens

Die Nato hat allen Nachbarstaaten Jugoslawiens Schutz vor serbischen Angriffen zugesagt. Dies ist mehr als eine politisch-militärische Gegenleistung für eine Unterstützung durch diese Länder. Die Nato hat damit unmissverständlich klargemacht, dass es nur noch eine Macht auf der Welt gibt, die Sicherheit garantieren kann: die Nato.

Das ist demütigend für Russland, wenigstens für den Teil dieses schizophrenen Landes, der noch nicht demokratisch ist, und außer den beiden Diktaturen Weißrussland und Serbien in der ganzen Welt keine Freunde mehr hat. Ob Russland seine Schizophrenie überwinden wird? Wird Russland demokratisch werden oder wird das Land sich mit diesen beiden netten Kameraden einigeln und sich vom Rest der Welt abkoppeln?

Seit gestern ist entschieden, dass die neue Weltordnung von der Nato bestimmt wird. Und es ist auch klar geworden, dass sich die Nato nicht mehr durch die Reste der alten Weltordnung, z. B. den Weltsicherheitsrat, in der Durchsetzung ihrer Ziele behindern lassen will. Auf eine Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates pochen nur noch Diktaturen und Halb-Diktaturen, wie China und Russland. Im Nato-Hauptquartier lautet daher die neue Parole auch sehr konsequent: Konsens ist Nonsens.

Die einzig positive Folge des Nato-Militärschlags gegen Serbien ist also, dass ein zweiter Milosevic in Zukunft nicht mehr mit dem Westen Katz und Maus spielen wird. Den Albanern im Kosovo nützt dies freilich wenig.

Viele sind über die Bomben auf Belgrad, einen souveränen Staat, ein Mitglied der UNO, erbost, insbesondere hier in Deutschland, wo man gewohnt ist, Verträge und Gesetze peinlich genau zu erfüllen. Wer jedoch all zu lange auf den Buchstaben des Gesetzes pocht, verliert irgendwann den Bezug zur Realität. Dies geschieht zur Zeit der PDS, deren Advokaten eine Verfassungsbeschwerde inkl. einstweiliger Anordnung gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Militärschlag beantragt haben. Natürlich wäre es schön, wenn man mit einstweiligen Verfügungen Mord und Vertreibung verhindern könnte. Aber um eine neue Weltordnung zu etablieren, ist mehr notwendig. Leider muss man anscheinend diese Absicht auch vor dem eigenen Volk verheimlichen. Warum eigentlich? – Solingen 25. März 1999