Der schwarze Dienstag

Das tat richtig weh. Mit dem Hohngelächter von Leuten, die wissen, dass sie uns endlich da haben, wo sie uns hin haben wollten, schlugen uns gestern die diätenprallen Schranzen der Verwerterindustrie kräftig ins Gesicht. Und als wir zu Boden gingen, traten sie noch einmal richtig nach.

Das Europäische Parlament hat am gestrigen schwarzen Dienstag das freie Internet zerstört. Der Verwerterindustrie ist gestern endlich der große Gegenschlag gelungen, den sie seit den 90er Jahren, als sich langsam aus bescheidenen Anfängen das Internet in der heutigen Form herausbildete, vorbereitet haben. Nichts soll mehr frei sein, alles muss wie früher seinen Preis haben.

Die Abgeordneten gaben vor, Youtube treffen zu wollen, doch das war gar nicht der Plan. Youtube ist ihnen lieb und teuer, denn Youtube macht Geld und da wollen sie ran. Sie wollen an jedem Click mitverdienen.

In Wirklichkeit wollten sie das freie Internet treffen. Die digitalen Strukturen abseits der großen US-Konzerne, das Internet der kleinen Foren und kritischen Blogs, das Fediverse. Denn in jeder Minute, die wir auf Foren, Blogs und im Fediverse verbringen, können wir nicht den copyrightgeschützten Müll der Verwerterindustrie konsumieren. Dank der Urheberrechtsnovelle können sie nun nicht den großen US-Plattformen ihre Inkassounternehmen auf den Hals jagen. Sie haben auch jede freie Konkurrenz zu Facebook, Twitter und Youtube im Keim erstickt. Und darum ging es ihnen. Eine Öffentlichkeit ohne Verwertungsinteressen ist für diese Leute die größte Gefahr. Deshalb muss das freie Netz sterben.

Niemand wird es in Zukunft noch wagen können, eine Plattform zu betreiben, auf die Nutzer in welcher Form auch immer etwas hochladen können. Seien es Texte, Bilder, Musik oder Videos. Ganz egal. Alles, was hochgeladen wird, muss vom Plattformbetreiber geprüft werden, denn er haftet künftig für alles. Vermutlich formulieren die Inkassounternehmen der Content-Mafia schon an Pauschalverträgen, die sie den kleinen Forenbetreibern aufdrängen können, um auch noch im letzten Winkel des Internets ihre Verwertungsinteressen durchzusetzen.

Das Fediverse war die letzte Möglichkeit für freie Menschen, sich im Internet auf gemeinsamen Plattformen zu organisieren. Ein Albtraum für die Ausbeutungsindustrie und die 1 %, die nichts so sehr fürchten als eine frei organisierte Gesellschaft. Glücklicherweise hat das freie Netz eine schwache Stelle. Es funktioniert nur, wenn Menschen und Organisationen dafür einen Server ins Netz stellen. Und genau das tun Menschen. Sie nehmen Arbeit auf sich, um anderen Menschen Freiräume zu schaffen. Gegen diese weichen Ziele ist die Content-Industrie nun erfolgreich vorgegangen. Dabei müssen sich die Herren nicht einmal selbst die Hände schmutzig machen. Sie jagen ihnen einfach die Abmahnanwälte auf den Hals. Vielleicht war der Protest gegen die Reform in Deutschland so stark, weil wir dieses geschickte System, die Meinungsfreiheit einzuschränken, seit Jahrzehnten kennen. In anderen Ländern soll es dieses Geschäftsmodell für gescheiterte Anwälte ja nicht geben.

Lasst euch nicht von den angeblichen Ausnahmen im Gesetzestext blenden. Sie sind so formuliert, dass niemand unter die Ausnahmen fällt.

Nicht nur die Betreiber von Foren und sozialen Plattformen werden aufgeben müssen, wenn sie nicht von den Abmahn-Heuschrecken überfallen werden wollen. Die letzten Kommentarspalten in kleinen Blogs werden schließen, denn wer will prüfen, ob der Kommentar eines Benutzers nicht den copyright-geschützten Satz eines Schreiberlings aus dem Springerkonzern enthält? Die großen Verlage schließen miteinander untereinander natürlich einen Waffenstillstand. Sie werden sich nicht gegenseitig verklagen. Sie wollen es der Gegenöffentlichkeit so schwer wie möglich machen. Kein Traffic soll mehr zu Plattformen fließen, die nicht an der Verwertungslogik teilnehmen.

Kommentare in kritischen Blogs? Das war gestern. Der freie Gedankenaustausch auf Mastodon? Vorbei. Der Aufbau alternativer Plattformen, wo Benutzer ihren Content mit anderen teilen. Unmöglich.

Gestern war ein schwarzer Dienstag für die Freiheit. Die Entscheidung der Lobbyhuren reiht sich ein in die totalitäre Zerstörungswut, die sich seit einigen Jahren in Europa austobt. Die Zerschlagung des Rechtsstaats in Polen und Ungarn, der Faschismus in Italien – das sind Vorboten einer schlimmen Zeit. Gestern hat der kapitalistische Totalitarismus gewonnen. Die gelenkte Demokratie, die durch das freie Internet beinahe außer Kontrolle geriet, hat wieder die Oberhand.

Und machen wir uns nichts vor. Natürlich können wir den totalitären Kräften in Europa mit den nächsten Wahlen und hilflosen Hashtags wie #niewiedercdu drohen. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung ist von den kapitalistischen Medien jedoch längst ruhiggestellt. Und das freie Internet, das den Spießbürger beunruhigen könnte, wurde gestern zur Strecke gebracht.

Geschlagen, aber nicht gebrochen

Unsere Niederlage erscheint besiegelt. Vielleicht können einzelne Länder oder die Verfassungsgerichte die Kriminalisierung der Gegenöffentlichkeit noch stoppen. Man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.

Aber eins ist mir noch sehr wichtig in diesem Zusammenhang.

Ich danke Julia Reda von den Piraten, die für uns alle im Europaparlament für die Freiheit gekämpft hat. Ich bin stolz darauf, als Pirat im Jahr 2014 für sie Wahlkampf gemacht zu haben. Ihr großartiges Wirken im Parlament war aller Mühen wert.

Zum erhobenen Haupt gehört aber auch, den Widerstand nun auf einer anderen Ebene zu führen. Treffen wir die Feinde der Freiheit da, wo es ihnen am meisten wehtut: bei ihren Einnahmen. Kauft keine Erzeugnisse der Verwertungsindustrie! Lest keine Zeitungen, hört keine Musik, schaut keine Filme! Meidet ihre Webseiten! Kommentiert nicht ihre Artikel! Kündigt alle Abos! Und schaltet niemals den Adblocker aus.

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