LQFB – das soziale Netzwerk für Politiker

Am 17. Januar 2013 führte Till Neuhaus in Solingen eine Liquid-Feedback-Schulung1 durch. Wir waren rund zwölf Teilnehmer, von denen einige schon Erfahrungen mit Liquid Feedback2 hatten, andere das Piraten-Tool zur Willensbildung nur vom Hörensagen kannten. Ich selbst habe LQFB bisher nur sporadisch genutzt. Das wird nach dieser Schulung anders werden.

Die Gründe, warum ich mich bisher an LQFB nur sporadisch beteiligt habe, obwohl ich die Idee immer gut fand, sind vielfältig. Die Benutzeroberfläche war früher nicht benutzerunfreundlich, sondern geradezu benutzerfeindlich. Es machte keinen Spaß, LQFB zu benutzen. Mein politisches Engagement im Real Life ließ mir wenig Zeit, mich auch noch intensiver mit LQFB zu beschäftigen. Und nicht zuletzt ist die mangelnde Verbindlichkeit der Beschlüsse in Liquid keine gute Werbung für das Piraten-Werkzeug. Wenn selbst erfolgreiche Initiativen auf dem Bundesparteitag nicht behandelt werden, dann fragt man sich natürlich, warum man Zeit investiert, wenn dann doch alles für die Katz war. Und selbst, wenn man berücksichtigt, dass eine erfolgreiche Initiative immerhin dazu geführt hat, dass ein ausgearbeiteter Formulierungsvorschlag für ein Thema vorliegt, kann man immer noch kritisieren, dass nur ein kleiner Teil der Mitglieder diese Formulierung unterstützt haben. Kurz gesagt: Man findet schnell viele Gründe, um sich mit Liquid Feedback nicht näher zu beschäftigen

Natürlich war mir schon vor der Schulung klar, dass man sich trotz allem intensiver an Liquid beteiligen sollte. Die Schulung hat diese Erkenntnis aber noch einmal bestätigt. Was ich im Folgenden sage, ist keine Beschreibung der Schulung, sondern eine Zusammenfassung von Dingen, die mir während und nach der Schulung klar geworden sind. Till hat uns lediglich technisch geschult und uns Tipps zur effizienteren Nutzung gegeben. Ob er meine Gedanken hier teilt, weiß ich nicht.

Liquid Feedback ist ein mies programmiertes soziales Netzwerk

Till gab sich viel Mühe, uns die verschiedenen Aspekte der Stimmdelegation zu erklären. Was mir dabei auffiel, war, dass er ganz offen darüber sprach, an wen er seine Stimme delegiert hat. Es sind Personen, die er persönlich kennt und denen er vertraut. Delegationen bilden Vertrauensverhältnisse ab. Wenn ich jemandem für die gesamte Liquid-Instanz eine Delegation erteile, kann dieser Mensch überall in meinem Namen abstimmen.

Delegationen bilden Vertrauensverhältnisse ab.

Da eigenes Abstimmen und Delegationen auf tiefer liegenden Ebenen globalere Delegationen aufheben, ist diese globale Delegation eher so etwas wie ein Fallback, der erst dann greift, wenn ich selbst nicht abstimmen kann und ich für ein Themengebiet keine sonstige Delegation eingerichtet habe. Wer stimmt für mich ab, wenn ich in Urlaub bin oder wegen Unfall oder Krankheit nicht teilnehmen kann? Wer also ernsthaft mit Liquid Feedback arbeiten möchte, sollte vielleicht als erstes darüber nachdenken, wer für ihn abstimmen soll, wenn er selbst an der Abstimmung gehindert ist.

Lebenspartner, befreundeter Pirat – wem vertraue ich alles an?

Für viele dürfte dieser Gedanke überraschend sein, denn Liquid Feedback ist ja an den Start gegangen, um möglichst vielen Piraten die direkte Mitwirkung zu ermöglichen. Jeder soll überall ungefiltert mitentscheiden dürfen – das ist doch die Idee der Basisdemokratie! Und das ist auch richtig. So habe ich Liquid Feedback bis gestern auch gesehen: als ein Tool, mit dem ich mich an der Willensbildung beteilige.

Heute plädiere ich dafür, das Pferd von hinten aufzuzäumen und ganz am Anfang darüber nachzudenken, an wen man bestimmte Themengebiete delegieren könnte. Wenn man dann nämlich feststellt, dass man niemandem in der Partei so weit vertraut, dass man ihm seine Stimme anvertraut, dann hat man ein Problem. Wer nicht delegieren kann, weil er nicht vertrauen kann, der sollte ganz schnell den direkten und persönlichen Kontakt zu Piraten vor Ort suchen, damit sich daran etwas ändert, oder er sollte die Politik verlassen, denn ohne Vertrauen wird Politik zum Höllentripp.

Der 2. Schritt in Liquid Feedback ist die Einrichtung von Delegationen für Themenbereiche. Wem vertraue in Fragen der Außenpolitik oder der Finanzpolitik oder der Innenpolitik? Wer hier nicht auf Anhieb Personen findet, denen er die notwendige Kompetenz zutraut, richtig zu entscheiden, kann Personen auswählen, denen er menschlich vertraut. Auch hier kann wieder der globale Fallback eingetragen werden. Die Person, die einsteht, wenn alle Stricke reißen.

Das Schöne an Liquid Feedback ist, dass ich Delegationen jederzeit entziehen kann. Es genügt, bei einem Thema, selbst abzustimmen. Damit ist die Delegation für diesen Fall automatisch hinfällig. Bei Delegationen in Themenbereichen ist es ebenfalls sehr einfach. Wenn ich sehe, dass mein Vertreter mit meiner Stimme nicht so umgeht, wie ich mir das vorstelle, dann kann ich jederzeit die Delegation für diesen Themenbereich beenden. Liquid – alles bleibt im Fluss.

Aus dem Geflecht der Delegation kann man die Vertrauensverhältnisse ablesen, die innerhalb der Partei existieren. Jeder Pirat schafft um sich herum eine Vertrauenswolke, die sich mit Wolken anderer Piraten überschneidet.

Und was ist daran mies programmiert?

Leider macht das System den Prozess des Delegierens unnötig schwer. Um eine Delegation einzurichten sind zwei Schritte erforderlich.

Ich muss die Person, an die ich delegieren will, zu meinen Kontakten hinzufügen. Das ist sehr umständlich.

  • Person über Suche finden. Dazu muss ich den Klarnamen oder den Benutzernamen kennen.
  • Das Profil des Benutzers aufrufen.
  • Den Benutzer über einen Link zu meinen Kontakten hinzufügen.

Ich muss die Person, an die ich delegieren will, aus meinen Kontakten auswählen. Dies geht über ein Dropdown-Menü bei wenigen Kontakten einfach. Wer viele Kontakte hat, wird sich ein anderes Interface wünschen.

Aus diesem Grund ist Liquid Feedback für mich ein mies programmiertes Soziales Netzwerk. Es basiert zwar in einem wesentlichen Prinzip auf persönlichen Vertrauensverhältnissen bietet mir aber keine bequeme Möglichkeit, dieses Netzwerk aufzubauen.

Vielleicht wird die neue Version von Liquid Feedback dem Sozialen im System mehr Beachtung schenken und entsprechend bequeme Funktionen aus den bekannten sozialen Netzwerken übernehmen.

Literatur

Benutzer:Till Neuhaus/LQFB-Schulung – Piratenwiki. 2013. Internet: https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Till_Neuhaus/LQFB-Schulung. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014.

LiquidFeedback. In: Wikipedia. 2014. Internet: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=LiquidFeedback&oldid=131410273. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014.

Fußnoten


  1. Benutzer:Till Neuhaus/LQFB-Schulung – Piratenwiki. 2013. Internet: https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Till_Neuhaus/LQFB-Schulung. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014. ↩︎

  2. LiquidFeedback. In: Wikipedia. 2014. Internet: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=LiquidFeedback&oldid=131410273. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014. ↩︎