Dann entstehen die Strukturen von selbst

Die Piratenpartei ist eine struktur- und hierarchieaverse Partei. Aus gutem Grund. Sie will nicht so werden wie die anderen Parteien. Doch um gegen die Strukturen der Politik zu bestehen, braucht man starke eigene Strukturen, sonst entstehen die Strukturen informell von selbst.

Hierarchien sind böse

Strukturen und Hierarchien sind in der Piratenpartei verpönt. Alles soll von allen beschlossen werden. Die Basis hat das Sagen. Die Vorstände haben politisch nichts zu melden. Sobald sie sich politisch äußern, bricht ein Shitstorm über sie herein. Doch nicht nur der Vorstand ist ein politisches Neutrum, auch die Untergliederungen haben eine unklare Position. Die Landesverbände können zwar eigene Programme verabschieden. Aber die Orts- und Kreisverbände erscheinen lediglich organisatorische Gliederungen zu sein, die kein eigenes politisches Mandat haben. So ist und bleibt das Zentrum der politischen Willensbildung der Parteitag, zu dem jedes Mitglied anreisen darf.

Das Programm der Partei wird teilweise in Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen erarbeitet, die jedoch in der Satzung nirgends erwähnt werden. Ebenso wenig kommt Liquid Feedback in der Satzung vor.

Amorphe Basis, unmündiger Vorstand

Die Struktur der Piratenpartei ist daher problematisch. Es gibt auf der einen Seite die amorphe Basis, die als einzige legitimiert ist, per Mehrheitsbeschluss auf den Parteitagen politisch aktiv zu werden. Auf der anderen Seite gibt es einen poltisch unmündigen Vorstand, dessen Aufgaben milde formuliert unklar sind. Dazwischen gibt es nichts. Das war so lange unproblematisch, wie sich niemand für die Piratenpartei interessierte. Seit dem Einzug der Piraten in die Berliner Landesvertretung ist das anders. Heute muss der Vorstand nahezu täglich in der Öffentlichkeit zu aktuellen Fragen Stellung beziehen. Die Äußerungen einzelner Personen im Vorstand werden plötzlich zu Positionen der Piratenpartei.

Und nun wird die organisatorische und politische Isolierung des Vorstandes spürbar. Es sind keine Strukturen da, die es dem Vorstand ermöglichen würde, politische Positionen zwischen den Parteitagen zu erarbeiten, die von der gesamten Partei getragen werden. Im Grunde entscheidet die persönliche Formulierungsgabe darüber, ob eine Äußerung als kongruent mit den Parteitagsbeschlüssen aufgefasst wird oder nicht.

Der Vorstand treibt in einem Ruderboot auf dem Meer, während die Partei auf ihrem Dreimaster munter weitersegelt. Das Boot des Vorstandes ist lediglich mit einem dünnen Seil am Schiff befestigt. Es kann jederzeit reißen.

Dem Vorstand wird zunehmend ungemütlich in seiner Rolle. Einerseits erwartet die Öffentlichkeit, oder genauer gesagt, die Presse, täglich Antworten auf die Schicksalsfragen der Nation. Andererseits wäre nur der Parteitag berechtigt, eine Antwort zu geben.

Ein Presseteam, Themenbeauftragte und Experten-Pools

Ich wundere mich daher nicht, dass der Vorstand verzweifelt versucht, eigene Strukturen aufzubauen, die es ihm ermöglichten, vor der Presse eine gute Figur zu machen. Da er jedoch weiß, dass die Partei Strukturen und Hierarchien hasst wie die Pest, wird hier vieles unter der Hand abgehandelt, wie zuletzt die Etablierung eines Presseteams. Oder es werden Anträge formuliert, die alle Bedenken der Basis ausräumen sollen,1 aber genau aus diesem Grunde Misstrauen erregen.2 Der Alternativvorschlag offenbart schon im Titel das Dilemma, in dem die Partei zurzeit steckt. Dort wird ein Pool von Experten-Scouts3 gefordert. Wenn schon der Vorstand nicht mehr in der Lage ist, in der Partei die richtigen Ansprechpartner für inhaltliche Fragen zu finden, wie soll sich dann jemand in der Partei zurecht finden, der gerade beigetreten ist – oder ein paar Wochen in Urlaub war?

Kritik an Personen

Die unzufriedenen Stimmen mehren sich. Die Kritik am Bundesvorstand nimmt zu. In erster Linie werden dabei die Personen kritisiert, die zurzeit im Bundesvorstand sitzen. Jeder erwartet, dass die Basis beim Bundesparteitag in Neumünster mit dem Vorstand abrechnen wird. Nun bin ich zwar auch der Meinung, dass Sebastian Nerz nicht mehr für den Vorstand kandidieren sollte, weil er mehrfach Positionen vertreten hat, die ich überhaupt nicht teilen kann. Aber das Problem hängt nicht allein von den Personen ab.

Ein Ökosystem für Andenpakte

Das Problem der fehlenden Strukturen bleibt auch bei einem anderen Vorstand bestehen. Die Medien werden sich stets an den Vorstand wenden, und die Vertretung der Piraten nach innen und außen durch den Bundesvorstand ist auch so in der Satzung vorgesehen. Der Bundesvorstand repräsentiert die Piraten, ob sie dies wollen oder nicht. Man sollte den Vorstand deshalb aus dem Ruderboot heraus an Bord des Schiffes holen – oder anders gesagt. Es müssen endlich Strukturen aufgebaut werden, durch die der Vorstand politisch in die Partei integriert wird. Die Partei hat es bisher versäumt, Strukturen zu schaffen, die Teilhabe und Effizienz miteinander verbinden. Wenn es der Partei nicht gelingt, diese Strukturen aufzubauen, entstehen die Strukturen von selbst. Wenn es nur die amorphe Basis und den Vorstand gibt, werden persönliche Beziehungen die Grundlage für informelle Strukturen bilden. Dann wird es ganz schnell Andenpakte4 in der Piratenpartei geben.

Literatur

Andenpakt (CDU). In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Andenpakt_(CDU)&oldid=132584011. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014.

Konzept für Themenbeauftragte - Initiative #2264 - LiquidFeedback - Piratenpartei, Bund. 2012. Internet: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/2264.html. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014.

LiquidFeedback/Themendiskussion/848 – Piratenwiki. 2012. Internet: http://wiki.piratenpartei.de/LiquidFeedback/Themendiskussion/848. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014.

Pool von Experten-Scouts als Dienstleistung in der Piratenpartei - Initiative #2316 - LiquidFeedback - Piratenpartei, Bund. 2012. Internet: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/2316.html. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014.

Fußnoten


  1. Konzept für Themenbeauftragte - Initiative #2264 - LiquidFeedback

     ↩︎
  2. LiquidFeedback/Themendiskussion/848 – Piratenwiki. 2012. Internet: http://wiki.piratenpartei.de/LiquidFeedback/Themendiskussion/848. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014. ↩︎

  3. Pool von Experten-Scouts als Dienstleistung in der Piratenpartei - Initiative #2316 - LiquidFeedback - Piratenpartei, Bund. 2012. Internet: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/2316.html. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014. ↩︎

  4. Andenpakt (CDU). In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Andenpakt_(CDU)&oldid=132584011. Zuletzt geprüft am: 22.9.2014. ↩︎