Von Zeitungen und Bäckerbrötchen

Bei der Genossenschaft, die das ›Neue Deutschland‹ herausgibt (den ursprünglichen Namen versteckt man schamhaft hinter der Abkürzung ›nd‹) hat sich überraschend ein hoher Fehlbetrag ergeben.

»Aufsichtsrat und Vorstand der nd.Genossenschaft erfuhren nach eigenen Angaben erst drei Tage vorher [gemeint ist eine Betriebsversammlung vor der Generalversammlung], dass sich das Defizit von den geplanten 300 000 auf über 600 000 Euro vergrößert hat. Im Zuge des Übergangs von der nd-GmbH zur Genossenschaft vor anderthalb Jahren war die Buchhaltung ausgelagert worden. Das machte die Arbeit nicht einfacher; jetzt seien Buchungsfehler entdeckt worden.«

Wo sind die hochgelobten genossenschaftlichen Prüfungsverbände, wenn man sie braucht?

Lenin hatte doch recht: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser. Solche Sprüche werden sich die Genossinnen und Genossen jetzt häufiger anhören müssen. Sie haben offensichtlich einen Aufsichtsrat gewählt, der sich die monatlichen Betriebswirtschaftlichen Auswertungen, die der Steuerberater hoffentlich gemacht hat, nie angeschaut. Vor allen anderen muss sich die Belegschaft, die doch sicher größtenteils aus Genossen besteht, fragen lassen, warum sie sich für die wirtschaftliche Lage ihres eigenen Unternehmens so wenig interessiert hat.

In einer Genossenschaft haben alle Mitglieder ein gemeinsames Interesse: dass es ihrem Unternehmen gut geht. Es sollte selbstverständlich sein, dass wenigstens die genossenschaftlichen Mitarbeiter regelmäßig mit dem Vorstand über die Lage sprechen und dabei auch in die BWA schauen. Eine Genossenschaft zu führen, sollte als Gemeinschaftsaufgabe aller Mitglieder verstanden werden. Dass die meisten Genossenschaften meilenweit von dieser Praxis entfernt sind, weiß ich.

Doch genug davon. Bei einer Tageszeitung liegen die Probleme tiefer. Der Branche geht es insgesamt nicht gut. Die Belegschaft vom ND appelliert nun an die Schwarz-Leser ein Abo abzuschließen, um das ›Neue Deutschland‹ zu erhalten. Und sie vergleicht die Zeitung in diesem Aufruf mit einem Bäckerbrötchen.

»Erst kauften alle beim Backshop, weil der natürlich viel günstiger war. Als dann die kleinen Bäcker pleite waren, weinten alle den guten Bäckerbrötchen hinterher.«

Über den Vergleich möchte man heulen, denn er entspringt dem unguten Muster, dem Leser mit griffigen Beispielen aus dem Alltag komplexe Zusammenhänge erklären zu wollen. Später kommt die Belegschaft dann noch zum Kern des Problems.

»Wir arbeiten an der digitalen Entwicklung des »nd«, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir ein robustes und zukunftsfähiges multimediales Geschäftsmodell entwickelt hätten, das gute digitale Angebote macht und eine Generation erreicht, die sich vor allem online informiert.«

Warum das digitale Geschäftsmodell so wichtig ist, erfährt man in dem anderen Artikel:

»12 309 Abonnenten gab es im ersten Quartal des Jahres. Von denen hatten 2569 ein Digitalabo abgeschlossen, lassen sich also keine Druckausgabe liefern, sondern lesen die Zeitung im Internet.«

Die 9740 Printabonnenten sind teuer ebenso wie die Laufkundschaft am Kiosk. Die Kosten für Papier und Logistik sind drastisch gestiegen. Die Genossenschaft wünscht sich deshalb mehr Digital-Abos, wo der Anteil der variablen Kosten geringer ist.

Mit dem digitalen Geschäftsmodell hapert es aber überall. Das Geschäftsmodell Tageszeitung funktioniert nicht mehr.

Worin bestand dieses Geschäftsmodell eigentlich? Tageszeitungen werden überwiegend durch Anzeigen finanziert. Anzeigenaufträge trudeln nur ein, wenn die Zeitungen Reichweite haben. Reichweite erreicht die Tageszeitung, wenn sie billig und interessant ist. Für interessante Zeitungen waren die Menschen früher bereit, kleines Geld zu zahlen. Das führte naturgemäß zu einem Zeitungssterben und zur Medienkonzentration. Schließlich kam man auf die Idee, die Zeitungen gleich kostenlos zu verteilen. Mit Journalismus hat das alles wenig zu tun. Bis auf die Tatsache, dass es die Inserenten aus dem Lager der Wirtschaft gerne sehen, wenn die journalistischen Artikel der Zeitung ihren Zwecken dienen. Wie soll eine antikapitalistische Tageszeitung da überleben?

Was aber wollen die Leser? Was will ich? Ich möchte etwas lesen, was ich noch nicht wusste. Ich möchte etwas lesen, das mich in die Lage versetzt, die Welt besser zu verstehen. Verkürzen wir diese Wünsche der Einfachheit halber auf die Begriffe ›Fakten‹ und ›Analyse‹ und lassen wir andere Motivationen wie Unterhaltung und Bestätigung der eigenen Vorurteile einmal kurz beiseite. Der Leser will Fakten und Analysen.

Früher hatte kaum jemand die Möglichkeit, an Fakten und Analysen zu kommen. Da war die Tageszeitung das Fenster zur Welt. Heute können wir im Internet jederzeit nach Fakten und Analysen suchen. Wenn mich ein Thema interessiert, suche ich dort und nicht in einer Tageszeitung nach Informationen. Das ist für alle Medien eine Herausforderung, für eine linke Zeitung, »die mit Journalismus zu einer besseren Welt beiträgt«, ist es eine Katastrophe. Sie kann sich weder von den Herrschenden finanzieren lassen, noch das intellektuelle Niveau senken, denn zu einer besseren Welt trägt man nur mit fundierten Fakten und tiefgehenden Analysen bei. Das kostet Geld, aber alles andere wäre linke Folklore oder konterrevolutionär und kann weg.