2018: das Coop-Jahr

Jahresrückblick: 20 Jahre Sudelbuch

Dieses Jahr, im Juni, feierte das Sudelbuch seinen 20sten Geburtstag. Die erste Sudelei erschien am 20.6.1998 und widmete sich dem Ende der Kohl-Ära. Jetzt könnte ich etwas über das Ende der Ära Merkel schreiben, wenn mir das denn wichtig wäre. Etwas anderes ist mir wichtiger. In der Anfangszeit des Sudelbuchs habe ich im Dezember oft einen Jahresrückblick gemacht. Diese Tradition, die zwischenzeitlich eingeschlafen ist, soll mit dieser Sudelei neu belebt werden.

Plattform-Kapitalismus ablösen

Wenn ich also das Jahr 2018 Revue passieren lasse, so zieht sich eine Frage wie ein roter Faden durch die vergangenen 337 Tagen: wie können wir den Plattformkapitalismus mit gemeinschaftlicher Infrastruktur ablösen?

Ich habe den Eindruck, dass diese Frage erst in diesem Jahr so richtig drängend wurde. Vorher wurde darüber noch nicht so intensiv nachgedacht. Im Snowden-Jahr 2013 begannen viele Menschen darüber nachzudenken, wie sie den Überwachungs-Kraken entkommen können. Wie schwierig das ist, habe ich in Tschüss Google beschrieben. Entwickler versuchten das Problem mit Software zu lösen. Im Wochenrhythmus schossen Software-Projekte aus dem Boden, die es sich zur Aufgabe machten, Alternativen zu zentralen Plattformen bereitzustellen.

Grundsätzlich gab und gibt es bei der Re-Dezentralisierung des Internets zwei Ansätze:

  1. echte Peer-to-Peer Systeme, für die kein Hosting erforderlich ist und
  2. Serversysteme, die irgendwo gehostet werden müssen.

Obwohl gerade im Peer-to-Peer-Bereich viel passiert, gehören die bekannteren und erfolgreicheren Projekte zur zweiten Kategorie. Ich umschreibe sie im Folgenden mit den Schlagworten ›Fediverse‹ und ›Dezentrale Cloud‹.

Fediverse und dezentrale Cloud

Zum Fediverse zähle ich Soziale Netzwerke wie Diaspora oder Mastodon, weil es sich hierbei um Server handelt, die über Förderations-Protokolle miteinander kommunizieren. Technische Unterschiede bei den Protokollen lasse ich hier beiseite. Zur dezentralen Cloud gehören Anwendungen wie Nextcloud, Discourse, Etherpad, also im weiteren Sinne Office-Anwendungen, geteilte Datenspeicher, Kalender und ähnliches. Das Fediverse und die dezentrale Cloud benötigen Server, die im Internet erreichbar sind. Bisher galt für diese Software das Prinzip des Selfhosting. Wer sich von Google, Facebook oder Twitter abkoppeln wollte, musste die Software selbst hosten oder die Instanz eines Bekannten nutzen.

So kann man aber keine Lösungen für den Mainstream schaffen. Ein freies Netz für Nerds, das wird auf Dauer nicht funktionieren. In diesem Jahr wurde nun in meinem Umfeld erstmals sehr intensiv über die Frage diskutiert, wie man Strukturen schaffen kann, über die nicht technik-affine Personen Zugang zum freien Internet bekommen.

Konferenzen und Workshops

Viele Diskussionen liefen dabei in meiner Hosting-Genossenschaft ab. Erstes Ergebnis dieser Diskussion waren zwei Mastodon-Instanzen, die von Hostsharing gepflegt werden. Eine Instanz für die Mitglieder und eine Instanz für andere Genossenschaften.

Am Ende des Sommers organisierten wir auf der FrOSCon einen Workshop, der sich diesem Thema widmete. In meinem Technik-Blog habe ich ausführlich über diesen Workshop berichtet. In diesem Workshop lernte ich die Librehost-Initiative, die ethische Hosting-Unternehmen in Europa vernetzen will. Und zufällig stieß ich heute auf den Mitschnitt einer Diskussion von der open.coop, in der es um das Thema »Coop Cloud« ging.

In der Genossenschaft haben wir im Anschluss an den FrOSCon-Workshop natürlich weiterdiskutiert, unter anderem mit Platform-Coop-Initiativen, die sich regelmäßig im Supermarkt Berlin treffen.

Das Thema entfachte in diesem Jahr aber auch eine große Strahlkraft in benachbarte Bereiche. So ist für Hostsharing die gemeinschaftliche Infrastruktur auch ein wesentliches Element nachhaltigen Wirtschaftens. Die Brücke von der gemeinschaftlichen Infrastruktur zur Nachhaltigkeit ist schnell geschlagen. Das zeigte sich auch bei zwei Konferenzen, an der Genossen teilnahmen.

Um soziale Aspekte kollektiven Wirtschaftens ging es im Oktober auf der Wandelkonferenz. Auf der Bits und Bäume, war Hostsharing mit einem Infostand präsent. Die Konferenz sollte die Datenschutz- und Free-Software-Community mit der Ökobewegung vernetzen. Daher stand dort auch das Thema digitale Nachhaltigkeit im Fokus.

Im Sudelbuch haben ich in diesem Jahr bereits zweimal über kollektive Infrastruktur nachgedacht. Einmal in dem Artikel So holen wir uns das Internet zurück und zuletzt in Die Kostenlos-Kultur verwandelt Menschen in Nutztiere. Im nächsten Jahr wird uns das Thema sicher weiter beschäftigen.