Leerlieferung – am Nichts verdienen
Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Discounter, um für sagenhafte 199 Euro einen supertollen Tablet-PC zu kaufen. Leider ist das gute Stück nicht vorrätig, weil der Lieferant nicht in der Lage war zu liefern. Dumm gelaufen. Sie kriegen kein Tablet und der Discounter kein Geld. – Dachten Sie!
Bald könnte es nämlich ganz anders sein. Der freundliche Verkäufer im Discounter bedauert zwar, den Tablet-PC nicht im Laden zu haben, nimmt Ihnen Ihr Geld aber trotzdem ab. Denn nach dem gestern beschlossenen Gesetz der Merkel-Regierung tragen Sie künftig als Käufer das Risiko für den Umsatzausfall des Discounters, wenn dessen Lieferant nicht liefern kann.
Absurd? – Ja sicher! – Aber nicht so absurd, als dass unsere Bundesregierung nicht tatsächlich ein solches Gesetz verabschieden würde. Sie tat es gestern, am 29. August 2012: ein Datum, das zukünftig im Zeitzeichen vom WDR besondere Beachtung finden wird. Markiert es doch den Anfang der sogenannten Leerlieferung. Der Verbraucher zahlt, geliefert wird nichts. CDU/CSU und FDP beschlossen neue Haftungsregeln für den Betrieb von Windkraftanlagen auf hoher See. Wenn die Windkraftbetreiber nicht in der Lage sind, ihren Strom ins Netz einzuspeisen, weil die Netzbetreiber keine Leitungen bereitstellen können, zahlt der Stromkunde für den Strom, der gar nicht ins Netz eingespeist wird.
»Damit ist der Weg frei für Milliardeninvestitionen«, sagte Philipp Röschen. Nun können die Konzerne Windräder im Meer bauen, ohne auch nur einen müden Gedanken daran zu verschwenden, wie man den Strom zum Verbraucher bringt. Denn der muss ja auch für Leerlieferungen zahlen. Wie beim Discounter. Wir gehen ohne Tablet-PC und ohne 199 Euro aus dem Laden wieder raus. Die Wirtschaft wird boomen.
Da es auf den Strom ohnehin nicht ankommt, werden die Stromkonzerne vermutlich einfache Attrappen aus Holz im Meer errichten. Hauptsache das Rad dreht sich. Vielleicht reicht ja sogar schon eine Option auf ein Windrad, um von den Leerlieferungen zu profitieren. Wenn man mit Leerverkäufen bei Aktienoptionen reich werden kann, warum sollte das nicht auch mit Leerlieferungen und ganz ohne Windräder gehen?
An diesem Gesetz merkt man, dass es immer schwieriger wird, den erneuerbaren Energien Steine in den Weg zu legen. Die Erzeugerpreise fallen. Der Anteil des Ökostroms steigt gewaltig. Da helfen nur noch drastische Methoden, um den Verbraucher davon zu überzeugen, dass Atomstrom doch besser und billiger ist. Die Leerlieferung ist Merkels Meisterstück.
Der zweite Gesetzentwurf, der gestern das Kabinett passierte, war das Leistungsschutzrecht, das Abmahnanwälten neue Erwerbsquellen auftun wird. Angeblich wurde das Gesetz aber nicht von Abmahnanwälten, sondern von Presseverlagen geschrieben, die damit irgendwie Geld machen wollen. Wie die Verlage aber Geld machen wollen, wenn niemand mehr auf ihre Artikel verlinkt, das wissen sie wohl selbst nicht.
Eine Novelle des Leistungsschutzrechtes ist daher schon in Arbeit. Das Risiko für den Fall, dass die Verlage nicht in der Lage sind, ihre Leistungen zu verkaufen, wird zukünftig der Verbraucher tragen: durch eine Nichtinanspruchsnahmevergütung in Höhe eines Jahresabos für die Printausgabe. Die Printausgabe wird selbstverständlich leer und frei Haus geliefert.