Schadenfreude, oder die Dauerplatzkarte für Mercedesfahrer

Schadenfreude ist die schönste Freude. Doch obwohl die Schadenfreude früher, insbesondere dann, wenn es um gefallene Mädchen oder von der Gicht befallene Geldsäcke ging, gerne mit der christlichen Nächstenliebe Hand in Hand über den Marktplatz schlenderte, glaube ich nicht daran, dass wir sie zu den sieben Kardinaltugenden rechnen sollten. Sie zu den sieben Todsünden zu rechnen, halte ich aber auch für übertrieben. Die Schadenfreude ist eine lässliche Sünde, so dass ich über sie, was mich betrifft, hier im öffentlichen Sudelbuch räsonieren kann. Die Todsünden spare ich mir für das geheime Sudelbuch auf.

Ich gestehe, dass ich zur Zeit überaus gerne die Nachrichten höre, schaue, lese und mit einer diebischen Freude an Tankstellen vorbeigehe. Stundenlang könnte ich den Leuten beim Tanken zuschauen. Es ist herrlich, ihre Gesichtzüge zu beobachten, wenn sie mit zunehmendem Entsetzen beobachten, dass sich die DM-Anzeige doppelt so schnell dreht wie die Liter-Anzeige. Es ist mir ein wahrer innerer Vorbeimarsch, dass diejenigen, die ohne jedes schlechte Gewissen mich am Überqueren der Straße hindern, die Luft verpesten, Krach ohne Ende machen, und mit ihren Rennstrecken die Landschaften zerschneiden, endlich hilflos dastehen und einmal so richtig bluten müssen.

Ich genieße es förmlich, wie BILD jeden Tag einen neuen Schuldigen dem lynchlustigen Leser darbietet. Waren es gestern die Rotgrünen mit ihrer dreimal verfluchten Ökosteuer, so ist es heute der schwache Euro, sind es morgen die gierigen Ölscheichs und übermorgen die Kartell bildenden Ölkonzerne. Jeder, so jammern die Autofahrer still vor sich hin, hat sich gegen sie verschworen.

Auch die Industrie stimmt in die Klage ein. Für Aktionäre dürfte es äußerst aufschlussreich sein, dass BMW (vormals Bayern), DaimlerChrysler (vormals Baden-Württemberg) und Volkswagen (vormals Niedersachsen) ganz offensichtlich nicht in der Lage sind, ein benzinsparendes Auto zu konstruieren und deshalb angesichts der steigenden Benzinpreise zu einem Autogipfel zusammenkommen wollen, um für ihre Dinosauriertechnik staatliche Subventionen zusammenzujammern.

Wo sind, so fragt man sich doch angesichts der leer hallenden EXPO-Pavillons die Videosimulationen von den Autos der Zukunft, die mit Wasserstoff, Sonnenenergie oder Gülle fahren? Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Deutsche Autos haben keine Zukunft, noch nicht einmal eine virtuelle. Deutsche Autofirmen investieren einfach in die falschen Technologien. Ein Beispiel. Während die Franzosen einen Partikelfilter für Dieselfahrzeuge entwickelt haben, der den Ausstoß der Lungenkrebs erregenden Rußpartikel quasi auf Null reduziert, haben die Deutschen bloß am Motor herum gefummelt, mit dem Erfolg, dass sie zwar immer noch die gleiche Anzahl an Partikeln in die Luft blasen, aber die Größe der Rußpartikel um den Faktor zehn verkleinern konnten. Wer sich ein wenig in Chemie auskennt, weiß, dass ein Partikel um so aggressiver reagiert, je kleiner er ist. Der deutschen Industrie ist es also höchstwahrscheinlich durch jahrelange intensive Forschung gelungen, das Krebsrisiko ihrer Dieselmotoren um den Faktor zehn zu vergrößern. Glückwunsch! Das nennt man wohl interdisziplinäre Forschung!

Aber steigende Benzinpreise erhöhen bekanntlich das Denkvermögen der Autofahrer. So beginnen einige darüber nachzudenken, ob man es nach ausreichendem körperlichen Training vielleicht schaffen könnte, zu Fuß zum Briefkasten zu gehen. Sie sinnen zaghaft darüber nach, welche Funktion wohl die großen die Fahrbahn versperrenden Autos haben könnten, die laut ihrer Schülerduden Busse genannt werden. Radikale Denker unter den Autofahrern sollen sogar schon einmal beim Studium der S-Bahn-Fahrpläne gesichtet worden sein, wo sie allerdings die Abfahrtzeiten mit veränderlichen Fahrpreisen verwechselten. Die Intelligenzbestien unter den Bleifüßen haben sogar schon einmal minutiös ausgerechnet, dass sie bei einem konstanten Tempo von 120 km/h ebenso schnell ans Ziel kommen würden, wie bei einem zwischen 180 km/h und 0 km/h oszillierenden Stop-and-Go-Tempo.

Aber wie wir aus dem NRW-Wahlkampf wissen, kann man Bildung nicht zum Nulltarif haben. Wenn man Autofahrern jahrelang einredet, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen sei Unfug (Ein Land, das so geniale Autobauer hervorbringt, muss es schließlich besser wissen als der Rest der Welt) dann muss man sich nicht wundern, dass sie sich Leute wie Möllemann zum Vorbild nehmen. Zur Zeit aber besteht Hoffnung, dass der Benzinpreis, die Bildung und damit die Attraktivität des Standortes Deutschland weiter steigen werden.

Worüber wir uns aber wirklich Sorgen machen müssen, sind die vielen, vielen, gering qualifizierten Arbeitnehmer, die täglich in deutschen S-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen vor sich hindämmern und mehr und mehr verblöden. Hier bildet sich ein gefährliches Potential völlig verdummter Wähler heraus, die auf Parolen wie »Freie Fahrt für freie Bürger. Nulltarif jetzt!« hereinfallen könnten. Ich darf mir das gar nicht vorstellen. Wenn all die messerscharf denkenden Autofahrer in die S-Bahn stürmen, dann müsste ich womöglich die ganze Fahrt über stehen! Ich sehe schon die Schadenfreude in den Augen ehemaliger Autofahrer, die mit ihren von Recaro verwöhnten Ärschen zwei Plätze in der S-Bahn belegen und mich breit angrinsen, als wollten sie sagen: Arme Socke, hat kein Auto und kann sich daher auch keinen superbilligen Autofahrer-Umsteigetarif mit verbundweiter Dauerplatzkarte für Mercedesfahrer leisten.

Es lebe der Stau! Wenigstens dort sind alle gleich! – Solingen 9. Juni 2000