Plädoyer für eine quantifizierbare Politik

Wenn die Piratenpartei bei Wahlen endlich einmal gewinnen möchte, dann muss sie schleunigst klarstellen, was sie will und worin sie sich von anderen Parteien unterscheidet. Als eine Partei der Einsen und Nullen (no pun intended) sollte sie sich auf ihre Stärke besinnen und Ziele anstreben, die wissenschaftlich simuliert werden können und quantifizierbar sind.

Die Piratenpartei setzt zurzeit einzig und allein auf basisdemokratische Methoden. Dies ist einzigartig innerhalb der Parteienlandschaft und war für mich der Grund, mich der Partei zuzuwenden. Auf Dauer ist jedoch das reine Mitmachen kein Garant für nennenswerte Wahlerfolge und schon gar nicht für eine nachhaltig erfolgreiche Politik.Es ist schön, wenn jeder auf die Maste klettern darf, um den Jolly Roger zu hissen oder die Segel zu setzen. Doch wirklichen Einsatz kann man sowohl von Mitgliedern als auch von den Bürgern nur dann erwarten, wenn klar ist, wohin die Reise geht.

Als ich im NRW-Arbeitskreis Bildung mitgeholfen habe, ein Bildungsprogramm für die NRW-Wahl im letzten Jahr zu erstellen, löste ich immer wieder heftige Diskussionen aus, wenn ich konkrete Zahlen vorschlug. Letztlich konnte ich mich auch nicht durchsetzen, weil die Mehrheit im Arbeitskreis gegen solche Zahlen war. Ich will hier über die Gründe nicht spekulieren, vielleicht haben einige geglaubt, dass man sich angreifbar macht, wenn man Zahlen nennt. Deshalb heißt es in dem Programm, wir wollen »die absolute Zahl der Hochschulabsolventen sichtbar erhöhen«. Diskutiert haben wir über eine Verdopplung. Mein Problem in den damaligen Diskussionen war, dass ich nur ansatzweise begründen konnte, warum sich die Zahl der Absolventen verdoppeln sollte. In die Begründung flossen demografische Zahlen ein. Es gibt immer weniger Kinder, wenn also die Hochschulquote gleich bleibt, werden die Absolventenzahlen sinken. Gleichzeitig ruft die Industrie immer lauter nach qualifizierten Hochschulabgängern. Die Schere war uns allen bewusst, weshalb die Überschrift in unserem Programm auch sehr deutlich wird: »Wir wollen die Zahl der Hochschulabschlüsse vervielfachen« Aber seit dieser Zeit treibt mich ein ungutes Gefühl um. Was nützt uns Beteiligung, wenn wir nicht wirklich wissen, was wir wollen sollen?

Gestern lief in Arte ein Bericht über die Not der Mittelschicht. In diesem Bericht haben die Autoren mit Statistiken belegt, dass die Mittelschicht dramatisch schrumpft. Ihr Anteil an der Bevölkerung wird immer kleiner. Der soziale Abstieg ist unvermeidlich, wenn die Politik so weitermacht wie bisher. Die Mittelschicht ist das Opfer des Neoliberalismus. Sie wird ausgeplündert, damit die Reichen immer reicher werden können.

Dieser Bericht hat mir erneut vor Augen geführt, dass wir ohne quantifizierbare politische Ziele als Partei keinen Schritt weiterkommen. Wir brauchen Pendants zu der grünen Forderung, dass im Jahre X soundsoviel Prozent des Stromes aus erneuerbaren Energien kommen soll, dass im Jahre X der Kohlendioxidausstoß auf Y Tonnen im Jahr reduziert wird.

Nur quantifizierbare Ziele geben uns die Möglichkeit, unsere Politik »durchzurechnen«, also durch wissenschaftlich belegbare Weise verschiedene Szenarien zu simulieren. Nur quantifizierbare Ziele sind überprüfbar. Und nur quantifizierbare Ziele sind vom Wähler einklagbar. Ich bin deshalb immer noch stolz auf eine konkrete Zahl in unserem Bildungsprogramm: »die Klassen- bzw. Kursgröße in den Sekundarstufen I und II [darf] maximal 15 Schüler betragen«.

Wir sollten als Piraten den Mut haben, in allen Ressorts quantifizierbare Ziele zu bestimmen, und daraus die notwendigen gesetzgeberischen Schritte ableiten. Es ist billig soziale Gerechtigkeit zu fordern – das ist eine inhaltliche Nullnummer. Es ist sehr viel glaubwürdiger, wenn wir uns das Ziel setzen, innerhalb von zehn Jahren den Anteil der Mittelschicht an der Bevölkerung wieder auf den Wert von 1980 zu heben. Es ist billig, mit dem Finger auf das horrende Jahreseinkommen von Vorstandsvorsitzenden zu verweisen und gleichzeitig die Not von Hartz-IV-Familien zu beklagen. Eine klare Kennzahl zu den möglichen Einkommensunterschieden in Deutschland wäre ehrlicher. Warum legen wir nicht einfach fest, dass der größtmögliche Verdienst in Deutschland nur das Vierzigfache des Existenzminimums betragen darf – alles was darüber liegt, fällt unter eine nahezu hundertprozentige Besteuerung? Reicht das nicht, um bestens zu leben?

Demokratie lebt vom Ausgleich – nicht nur vom Ausgleich der politischen Meinungen, sondern vor allem von einem sozialen Ausgleich. Eine Marginalisierung der Mittelschicht wäre das Ende der Demokratie. Und die Marginalisierung ist so weit fortgeschritten, dass wir dringend umkehren müssen. Das erkennen immer mehr Bürger – auch wohlhabende.

Quantifizierbare Ziele sind nicht das Gegenteil von qualitativen. Dies lässt sich leicht mit gewisser Verve behaupten, ist aber falsch! In Bhutan wird beispielsweise ein Bruttozufriedenheitsprodukt ermittelt, mit dem der Erfolg von Politik gemessen wird. Die UNO quantifiziert qualitative Ziele, wenn sie fordert, bestimmte Krankheiten oder den Hunger bis zum Jahres X auszurotten und dafür Y Prozent des Bruttosozialprodukts zu verwenden. Dies ist immer auch mit Problemen verbunden – wie alles diesseits religiöser Glücksversprechen. Aber die Quantifizierung von Zielen erleichtert die Darstellung, akzentuiert die Diskussion und macht politische Maßnahmen evaluierbar. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Politik ist natürlich wissenschaftliche Redlichkeit, eine Tugend, auf die leider nicht nur der Lügenbaron glaubt verzichten zu können.

Einer Partei, deren Mitglieder häufig aus dem wissenschaftlich-technischen Umfeld kommen, stünde es gut an, sich in ihrer Politik auf verifizierbare Tatsache zu stützen und bei der Suche nach Lösungen wissenschaftliche Methoden anzuwenden. Dies alles ist mit einem sehr hohen Aufwand verbunden, den auch nicht jeder leisten kann. Das partizipative Element innerhalb der Partei sollte deshalb durch eine wissenschaftliche Fundierung ergänzt werden.