Déjà vu: Vollbeschäftigung
Der Vizekanzlerkandidat der SPD, Frank-Walter Steinmeier, verspricht dem Volk mal wieder die Vollbeschäftigung. Nichts Neues also. Déjà vu. Mich erinnert der Sermon über die Vollbeschäftigung an das Versprechen der Auferstehung. Wer’s glaubt, macht die SPD selig. Leider will die SPD wie immer das Pferd von hinten aufzäumen.
Steinmeier will Deutschland zu einem ›Silicon Valley umweltschonender Industrieproduktion‹ machen. Das brächte 2 Millionen neue Jobs, sagt er. Einige hundertausend Jobs sollen in der Alten- und Krankenpflege entstehen. Und eine halbe Millionen in der Kreativwirtschaft, was immer das auch ist. Was an den vier Millionen dann nach Adam Riese noch fehlt, soll bei Dienstleistungen und im Handel entstehen.
Stellen Sie sich einmal vor, Steinmeier würde das schaffen? Mit welchen Leuten will er dann die neuen Jobs besetzen? Wo sind denn die 2 Millionen gut ausgebildeten Wissenschaftler und Ingenieure für Steinmeiers Vollbeschäftigungs-Paradies? Wo sind die hunderttausend Arbeit suchenden Alten- und Krankenpfleger?
Einzig die 500.000 Mediengestalter für die Kreativwirtschaft halte ich für realistisch. Immerhin bilden die Arbeitsagenturen seit Jahren Arbeitslose zu Mediengestaltern weiter. Der Bedarf an Mediengestaltern ist enorm. Allein beim ZDF kommen im neuen heute-Studio drei Dutzend Mediengestalter auf einen Journalisten, und der war früher selbst Mediengestalter.
Déjà vu total! Die SPD will wie immer das Pferd von hinten aufzäumen. Und die CDU lacht sich ins Fäustchen, hat sie in den vier Jahren die Hände doch so erfolgreich in den Schoß gelegt, dass es geradezu schädlich wäre, wenn sie nun im Wahlkampf so täte, als wolle sie auch nur eins der drei Dutzend Probleme anfassen, die uns auf dem Magen liegen. Die CDU ist eine buddhistische Partei. Sie weiß, dass alles politische Streben eitel ist. Die Erleuchtung in Form lukrativer Pfründe kommt von ganz allein. Die Politik überlässt Merkel daher den anderen. Das hat den Vorteil, dass immer die anderen Schuld sind, wenn etwas schief geht. So kann sie zum Beispiel auf Steinbrück zeigen, wenn jemand wegen der Rekordschulden der Großen Koalition die Stirn runzeln sollte. Die Kanzlerin hat damit nichts zu tun. Ist sie etwa für die Finanzen verantwortlich? Natürlich nicht! Eben! Da kann ihr auch niemand und schon gar nicht der Wähler einen Vorwurf machen. Sie ist die reine Verkörperung der Unverantwortlichkeit und damit die ideale Repräsentantin eines vom Trash-Fernsehen verblödeten Volkes.
Doch zurück zu Steinmeiers Deutschlandplan. Im Grunde ist dieser Plan nicht einmal eine Sudelei wert. Wer in seinem Leben schon ein paar Wahlkämpfe miterlebt hat, hört gar nicht mehr hin, wenn ein Politiker zu einem Versprechen ansetzt. Mich interessiert auch nicht die Lüge hinter dem Wahlkampfversprechen, sondern das Versprechen selbst. Denn aus dem, was versprochen wird, lässt sich gut herauslesen, ob die Partei sich überhaupt die Mühe gemacht hat, die Probleme ansatzweise zu verstehen. Und das ist bei der SPD ganz offensichtlich nicht der Fall.
Sie will lediglich vier Millionen neue Jobs versprechen und sucht sich dann ein paar Schlagworte wie Umwelttechnik oder Kreativwirtschaft aus der aktuellen politischen Diskussion zusammen, um das Blaue von Himmel ein wenig realistisch zu verpacken. Das ist so eine Art Dan-Brown-Methode für Politiker.
Dass Umwelttechnik Jobs schafft, hat also mittlerweile selbst die SPD verstanden. Glückwunsch! Das war unter dem Autokanzler Gerhard Schröder noch anders. Doch wie immer hat sie nur die Hälfte verstanden. Denn nun glaubt sie, die Umwelttechnik als Jobmaschine in die Pflicht nehmen zu können, weil die SPD es gerade einmal wieder opportun findet, die Vollbeschäftigung zu versprechen. Die Umwelttechnik selbst geht den Genossen aber wie immer am Arsch vorbei.
Denn wenn sich Steinmeier die Mühe gemacht hätte, mit einem Umwelttechniker zu sprechen, dann wäre ihm sicher aufgefallen, dass in dieser Branche – wie auch in vielen anderen High-Tech-Branchen – seit Jahren bereits Vollbeschäftigung herrscht. Arbeitsplätze sind genug da, allein es fehlen die dazu passenden Arbeitslosen.
Wer also die totale Vollbeschäftigung verspricht, sollte sich vorher gut überlegen, welche Jobs benötigt werden. Gut ausgebildete Fachkräfte sind voll beschäftigt. Prekär ist die Lage dagegen für Menschen mit einer geringen bis durchschnittlichen Qualifikation. Ihre Arbeitsplätze fallen nicht nur im Falle einer Krise als erstes weg, sie befinden sich auch dauernd in einem Verdrängungswettbewerb mit Maschinen und billigen Arbeitskräften aus dem Ausland.
Eine Partei, die Vollbeschäftigung verspricht, muss daher entweder dafür sorgen, dass mehr Jobs für geringer qualifizierte Menschen geschaffen werden oder dass mehr Menschen eine höhere Qualifikation erreichen. Ersteres erzielt man durch teure Beschäftigungsprogramme, ein Dauerbrenner bei den Gewerkschaften und den Linken. Nachhaltig ist das nicht, aber immerhin populär. Letzteres erreicht man durch eine bessere Ausbildung.
Da könnte die SPD zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, und was tut sie? Sie läuft mit Kopf wieder einmal voll gegen die Wand. Dabei wäre es so einfach. Wer mehr Menschen besser ausbildet, beseitigt den Fachkräftemangel und senkt die Arbeitslosigkeit. So einfach ist das!
Erst wenn wir mehr Menschen zu Spitzenkräften ausgebildet haben, können wir damit anfangen, ein Silicon Valley für Gott-weiß-welche-Sau-gerade-durchs-Dorf-getrieben-wird zu bauen. Aber nicht andersherum!
Ein Wahlversprechen mit Niveau sollte daher lauten: Ich, Frank-Walter Steinmeier, verspreche, die Bildungsetats in Deutschland zu verdreifachen. Natürlich wissen wir, dass der Bundeskanzler ein solches Versprechen im Grunde gar nicht abgeben darf, da das wichtigste Politikfeld in Deutschland der Hoheit einer Bande von profilierungssüchtigen Provinzfürsten unterliegt. Doch das wäre mir als Wähler völlig egal.
Wenn der Kanzler die Verdreifachung der Bildungsetats fordert, müssen die Provinzfürsten erst einmal die Chuzpe haben, ihn auflaufen zu lassen.
Politische Ziele dürfen ruhig utopisch klingen, sie sollten bloß Hand und Fuß haben. Als Kennedy den Amerikanern versprach, innerhalb eines Jahrzehnts einen Mann auf den Mond und heil wieder zurückzubringen, da klang dieses Versprechen angesichts der Erfolge der Sowjets im All geradezu trotzig utopisch. Aber wie wir wissen, haben die Amerikaner nicht nur das von Kennedy gesteckte Ziel erreicht – das Apollo-Programm hat die Amerikaner darüber hinaus für mehr als eine Dekade auch auf der Erde zur Führungsnation in vielen technologischen Bereichen gemacht.
Wenn Steinmeier verspräche, innerhalb eines Jahrzehnts den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen in Deutschland auf ein Viertel zu reduzieren, dann könnte man ihn vielleicht ernst nehmen. Dieses Ziel ist nämlich nicht nur wegen des dramatischen Klimawandels von entscheidender Bedeutung für unseren Planeten, es würde Deutschland auch in einem der wichtigsten Märkte der Zukunft für Jahre die technologische Führung bescheren und damit vermutlich die von Steinmeier versprochenen zwei Millionen Arbeitsplätze tatsächlich neu schaffen. Doch Steinmeier will ernten ohne zu säen. Er wählt sich nicht den Mond zum Ziel, weil es schwer ist. Er baut lieber Luftschlösser, weil das viel leichter ist. Den Wähler für dumm zu verkaufen, ist viel einfacher, als den Kopf einzuschalten.
Die CDU ist natürlich um keinen Deut besser. Diese Partei hat sich noch nie ein Ziel gesetzt, dass schwerer zu erreichen gewesen wäre, als die Wiederwahl ihres Kanzlers oder ihrer Kanzlerin. Und da sie sich auf diese ihre Kernkompetenz konzentriert, erreicht sie ihr Ziel auch für gewöhnlich. Das Ergebnis der Bundestagswahl wird daher wieder ein enttäuschendes Déjà vu sein. Eine Große Koalition aus Nichtstuern und Schwaflern. Kein Ziel nirgends.