E10 ist Bulimie auf Kosten anderer
Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder haben wir nicht den Willen, die anstehenden Probleme zu lösen oder unsere intellektuellen Fähigkeiten liegen unterhalb der Problemlösungsschwelle. Am Beispiel des so genannten Biokraftstoffs E10 lässt sich das exemplarisch zeigen.
Das Erdölzeitalter neigt sich dem Ende zu, die Erdölreserven, die sich in Millionen von Jahren gebildet haben, werden bald zu Ende sein. In gerade einmal 200 Jahren wird der Mensch die gesamte Menge der im Erdöl gespeicherten komplexen Kohlenwasserstoffe zu klimaschädlichem Kohlendioxid verfahren, verstromt und verheizt haben. Wir werden also spätestens in 40 Jahren die Reduktionsziele, die in den letzten Jahren aufgestellt wurden, erreichen – einfach, weil es kein Erdöl mehr geben wird, das wir noch verfahren, verstromen und verheizen können.
Nun ist es im Grunde sehr einfach, die Klimaziele früher zu erreichen. Man muss einfach weniger fossile Brennstoffe verfahren, verstromen und verheizen. Das zu erreichen, ist – insbesondere beim Straßenverkehr – nicht ganz einfach, weil man die Menschen dazu bringen müsste, ihre Gewohnheiten so zu verändern, dass weniger Treibstoff verbraucht wird. Um die Methoden, mit denen man das erreichen kann, machen wir seit Jahren einen großen Bogen: ein Tempolimit auf den Autobahnen, ein Verbot von Pkw, die mehr als drei Liter auf 100 km verbrauchen, der gezielte Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und der Güterbeförderung auf der Schiene. Die letzteren beiden Ziele scheiterten daran, dass sich neoliberale Lobbyisten und verantwortungslose Politiker vor vielen Jahren in den Kopf gesetzt haben, die Deutsche Bahn an die Börse zu bringen. Ein klimaschädlicheres Ziel hätte man sich kaum ausdenken können. Das Dreiliterauto scheitert bisher an der Autolobby und charakterlosen Politikern. Und ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist gegen die Bildzeitung nicht durchzusetzen.
Anstatt also weniger Treibstoff zu verbrauchen, kam man auf die Idee,
die CO2-Reduktion mit einem Taschenspielertrick zu bewerkstelligen.
Man mische dem fossilen Treibstoff einfach etwas aus Pflanzen gewonnenes
Ethanol hinzu und schon hat man auf dem Papier einen Teil der Klimaziele
erreicht, da man sich die Klimabilanz des Ethanols wunderbar
schönrechnen kann. Das Kohlendioxid sei ja, so behaupten die Befürworter
von E10, aufgrund des Pflanzenwachstums quasi der Luft entnommen worden,
in die es durch sanften oder weniger sanften Druck aufs Gaspedal wieder
zurückkehren wird. Schon in der Theorie ist Biokraftstoff also
bestenfalls ein Nullsummenspiel. In der Wirklichkeit ist E10 eine
Katastrophe. Zunächst einmal werden unsere Lebensmittel in der modernen
Landwirtschaft mit einem erheblichen Einsatz von Energie erzeugt. Dass
heißt für jede Tonne Ethanol, wurden vorher etliche Liter fossile
Brennstoffe verpulvert. Über den Einsatz von Giften – bei Pflanzen, die
angeblich nicht in die menschliche Nahrungskette gelangen, spritzt der
Bauer ja bekanntlich völlig enthemmt – möchte ich hier gar nicht sprechen. Wenn Bäume gerodet werden, um Bioethanol zu produzieren, wird E10 selbst zum
aktiven Klimakiller. Und wenn statt Lebensmitteln, der Tiger in unseren
Tanks produziert wird, entsteht eine künstliche Knappheit auf dem Markt,
der die Lebensmittelpreise explodieren lässt. Vielleicht war es unser
Biosprit, der in Nordafrika zum Umsturz der korrupten Regime geführt hat
– denn der Auslöser der Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen
waren stark gestiegene Lebensmittelpreise.
E10 ist also der Versuch, weiterzufressen, ohne dick zu werden: Klima-Bulimie auf Kosten anderer. Wir sollten möglichst schnell damit aufhören.