Wahrheit schäubleweise
Die Wahrheit kommt in der Bimbesrepublik Deutschland nur schäubleweise ans Licht. Was unbestreitbar ein großer Fortschritt ist, denn ein Vierteljahrhundert lang wurden wir total verkohlt. Aber wir wollen nicht im Zorn zurückblicken. Always look on the bright side of life, sagte einmal ein mit den Widrigkeiten des Lebens sehr vertrauter Weiser aus dem Morgenland. Schauen wir also mal auf die positiven Seiten des Parteispendenskandals. Endlich können wir Wessis, aufgewachsen in der Gnade der späten Geburt, eine Erfahrung machen, die vor uns schon die älteren Semester und der gelernte DDR-Bürger machen durfte: die Rekonfiguration der persönlichen Biografie.
1945 nannte man diesen Vorgang Entnazifizierung. Ein Prozess, der unglaublich schnell und gründlich ablief. Quasi über Nacht gab es in ganz Deutschland keine Nazis mehr. Die Stunde Null war vor allem eine Stunde des Vergessens. Niemand konnte sich mehr an Todesurteile, an Kriegsverbrechen oder Judenverfolgung erinnern. Alle Nazis waren entweder tot oder in Südamerika, zum Beispiel in Paraguay, ein Land, das für die Geldwäsche der CDU noch besondere Bedeutung erlangen sollte.
Dem DDR-Bürger fiel die Reorganisation weniger leicht. Was auch nicht verwundert, da die Besserwessis auf der einen Seite und die Stasiopfer mit der Gauck-Behörde auf der anderen Seite dem vergrämten Otto Normal-Ossi ständig die Neukonfiguration seines Gedächtnisses vermasselten.
Nun dürfen endlich auch die Wessis ihre Biografie akzentuieren. Jahrzehntelang sah man vom Thron einer vorbildlichen Bundesrepublik auf die Bakschisch-Staaten südlich der Alpen herab, geißelte die Diktaturen jenseits der Elbe und glaubte fest daran, in der besten aller Demokratien zu wohnen. Doch nun ist auch für uns der Mai 45, der November 89 gekommen. Bürger einer Bimbesrepublik waren wir – mehr nicht!
Während der Durchschnitts-Wessi diese Erkenntnis noch anstarrt wie einen unehelichen Wechselbalg, sind die Herren von Greif und Nimm schon fleißig dabei, ihre Erinnerung zu rekonfigurieren. Aber auch diesmal gibt es diese Nervensägen, die beim Vergessen stören, sodass beim Neuschreiben der eigenen Biografie immer wieder Widersprüche auftauchen: Nie hat man sich mit Schreiber getroffen. – Naja, einmal so zwischen Tür und Angel. – Ja, jetzt wo Sie es sagen: es kann schon sein, dass er einen Koffer dabei hatte. – Ich hab nicht nachgezählt, aber es können so ca. 100.000 DM gewesen sein. – Das war aber das erste und letzte Mal, dass ich ihn getroffen habe. – Mmh, nach Durchsicht meines Terminkalenders habe ich Herrn Schreiber wohl doch noch einmal getroffen. Worum es dabei ging, weiß ich nicht mehr, um Geld ging es aber ganz sicher nicht!
Das wollen wir Schäuble gerne glauben. Irgendwann muss Schreiber Schäuble ja auch mal den Preis für die Spende genannt haben. In Politikerkreisen nennt man das Sachfragen besprechen.
Und dann wäre da noch Paraguay, ein Land, zu dem die CDU eine besonders gute Beziehung haben muss. Vielleicht meinte Kohl Paraguay, wenn er von der Gnade der späten Geburt sprach. Jedenfalls hat die CDU sich dort wohl jahrelang gefälschte Totenscheine besorgt, um die Legende von den toten Juden, die in Scharen ihr Vermögen der Christlich Demokratischen Union vermachen, mit deutscher Gründlichkeit und offiziellem Behördenstempel abzusichern.
Das niedere Parteimitglied läuft derweil natürlich wie die jungfräuliche Unschuld durchs Land. Da hat sich natürlich nie einer gewundert, warum man immer mehr Geld für Wahlkämpfe zur Verfügung hatte als die SPD. Besonders unschuldig ist Volker Rühe, der die CDU Anfang der 90er Jahre entschuldete. Da die CDU sich damals auch nicht gerade die Wahlplakate vom Butterbrot absparte, muss er wohl unverhoffte Geldquellen entdeckt haben. Vielleicht in Paraguay, immerhin war Rühe ja auch mal außenpolitischer Sprecher der Partei.
Rekonfigurieren wir also! Darin haben wir Deutsche sowieso die größte Erfahrung. Ich höre schon, wie meine Söhne mich fragen: Wie konntet ihr diese Verbrecher nur 16 Jahre lang wählen? Wie gut, dass ich einen Persilschein habe. Denn als geborener Atheist war ich schon immer immun dagegen, eine Partei zu wählen, die ein »C« im Namen führt. Aber was machen die anderen Genasführten meiner Generation? Mit Gestapo, KZ und Stasi kann man sich diesmal wohl leider nicht herausreden. – Solingen 2. Februar 2000