Über Nüsse, Jogurt und Schalentiere

Im Radio wurde eben gesagt, man könne den Charakter eines Menschen an den Zähnen erkennen. Die Zähne sollen nämlich die Essgewohnheiten des Menschen widerspiegeln, und diese seien eben Ausdruck der Persönlichkeit. Der Nussknacker, der Kernbeißer, derjenige der sich gern in hartes Brot und zähes Fleisch verbeiße, sei auch im sonstigen Leben hart im Nehmen und Geben: eine herzhafte Kämpfernatur. Die Weicheier aber, die lieber ihren seirigen Jogurt schluckten, die Breimampfer und Marmeladenschlecker, seien auch im übrigen Leben als Charaktere eher von weicher und pampiger Konsistenz.

Ich finde diese Rosstäuscher-Weisheit überaus reizvoll. Gibt sie uns doch allen eine einfache Messlatte an die Hand, mit der wir unsere Geschäfts-, Ehe- und Freizeitpartner zum bequemen Gebrauch abmessen können. Die Regeln dieser Menschenkenntnis sind auch viel einfacher zu merken, als die Regeln der Psycho- und Soziologie, ganz zu schweigen von dem Algebra der Genforscher, die unsere Charaktere in DNS-Sequenzen zerlegen.

Alles, was der kulinarische Menschenkenner braucht, um sein Gegenüber im Restaurant psychologisch zu entkleiden, ist die Speisekarte, die dieser gerade mit Wohlwollen oder innerem Abscheu studiert. Natürlich eignen sich private Diners, bei denen das Objekt der Untersuchung selber kocht und auftischt, wesentlich besser, um den geheimen sich wie Spagetti verschlingenden Regungen seiner Seele nachzuspüren. Was sagt uns zum Beispiel ein schnell mit etwas Olivenöl angemachter, leicht verdaulicher Salat über die aufrichtigen Heiratsabsichten des in einer Annonce gefundenen Lebensabschnittspartners? Welcher Charakter offenbart sich im panzerbrechenden Liebhaber von Krustentieren? Welche Mühsal kommt auf uns zu, wenn wir uns mit jemandem einlassen, der schon beim ersten gemeinsamen Abendessen ein Menü aus fünf Gängen serviert und die Farbe der Kerzen auf dem Tisch mit dem des Räucherlachses auf dem Teller abstimmt? Und können wir erwarten, mit jemandem der Tiefkühlpizzas von Dr. Oetker bevorzugt, jemals ein Gespräch zu führen, dass über das intellektuelle Niveau einer Samstagsabendshow hinausgeht?

Schon dieser kurze Ausflug in die Wissenschaft vom essenden Menschen zeigt, wie genau diese Art der Menschenkenntnis bei ihren Urteilen differenziert. Weit entfernt davon, plumpe Rollenmuster aufzustellen, gibt uns die Psychologie des Essens eine reichhaltige Palette fein abgestimmter Charakterfärbungen an die Hand, mit der wir, wie einst Archimboldo, uns ein perfektes Abbild der guten und weniger guten Eigenschaften unserer Mitmenschen zusammenfügen können.

Selbst tiefgreifende Veränderungen im Charakter eines Menschen lassen sich mit dieser Methode voraussagen. So wurde mit Hilfe von Rattenversuchen nachgewiesen, dass Schwangerschaften die Intelligenz steigern. Ob das beim Menschen genauso ist, weiß man noch nicht, aber unbestritten ist, dass die Phantasie schwangerer Frauen bei der Zusammenstellung ihrer Speisen deutlich zunimmt. Aber nicht nur Intelligenz, Phantasie und sonstige Eigenschaften offenbaren sich im Speiseplan eines Menschen, auch die Gesinnung ist nicht frei von kulinarischen Implikationen. Der Volksmund wusste dies schon immer, prägte er doch das Sprichwort: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Nun munkelt man, dass Otto Schily schon sehr früh, als er noch Mitglied der Grünen war, gerne Schwarzbrot gegessen habe. Und dass Gerhard Schröder selbst seiner Frau gerne den Teller leer isst, sieht man ihr und seinen Kabinettskollegen an. Missmut und Ärger ist da unvermeidlich. Kohl dagegen konnte die streitenden Flügel seiner Partei immer wieder wie die ungleichen Zutaten in einem Saumagen fest zusammenschnüren und sich damit 16 Jahre lang behaupten. Naja, und das Kraftfutter eines Joschka Fischers spricht sowieso Bände.

Welche Schlussfolgerung sollen wir nun daraus ziehen? Erstens: die Zigarren und Anzüge des Kanzlers werden völlig überschätzt. Zweitens: Als Wähler sollten wir darauf bestehen, von unseren Politikern vor jeder Wahl mindestens einmal zum Essen eingeladen zu werden. Und wenn das organisatorische Probleme bereitet, soll man uns – drittens – wenigstens einen Blick in die Mülltonne unserer MdBs gestatten, um herauszufinden, was die so alles in sich hineinstopfen. – Solingen 17. November 1999