Pastor Hintze und die Musik der Einheit

Über Pastor Hintze etwas Satirisches zu schreiben, ist so gut wie unmöglich, weil man Realsatire nicht überbieten kann. Jeder hat wahrscheinlich so einen Strebertyp mit sauber gescheitelten, fettigen Haaren in der Klasse gehabt. Und jeder hat sich nichts mehr gewünscht, als ihm stundenlang die Fresse polieren zu dürfen. Da sich Schleimer jedoch immer schon mit den Mächtigen gut gestellt haben, war eine solche, den Ekel abreagierende Tat nicht empfehlenswert.

Hintze ist so sehr seine eigene Karikatur, dass man seine Dummheit noch nicht einmal konsequent zu Ende denken braucht, um sie zu entlarven. Was sich diese Ausgeburt deutscher Tumbheit jetzt wieder geleistet hat, ist allerdings fast schon unglaublich: Im Brustton tiefster nationaler Entrüstung schüttelte er seine frisch gefönte Strebertolle aus dem Gesicht und tat den anwesenden Journalisten seine tiefe Abscheu vor dem vaterlandslosen Treiben dort oben in Niedersachsen kund. Hatte doch ein Schmieren-Komponist im Auftrag der roten Landesregierung sich erdreistet, ein Musikstück zu komponieren, in dem die teutsche Nationalhymne mit der Hymne der DDR, des verbrecherischen, sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaats, verquickt wird. Und dieses Machwerk soll auch noch anlässlich der Feiern zur Deutschen Einheit in Hannover uraufgeführt werden. Selbst hartgesottene Journalisten, die seit Jahren mit seinen peinlichen Auftritten vertraut sind, trauten ihren Ohren nicht.

Freuen wir uns also diesmal wirklich auf den ›Tag der deutschen Einheit‹ und auf den Moment, wenn die ersten Takte des verruchten Stückes vom designierten neuen Bundeskanzler intoniert werden und alle Hintzes der CDU wie ein Hohlkopf aufstehen und protestierend den Festsaal verlassen.

Oder werden am 3. Oktober wieder die Hintzes dieser Republik zuletzt lachen? Immerhin – Kohl der Pate der Hintzes holt auf. Schröder wird in der heißen Phase des Wahlkampfs noch ein paar Kohlen zulegen müssen, und auch die Grünen sollten – am besten mit Sonnenenergie – noch kräftig Dampf machen, um diese Musikbanausen aus dem Kanzleramt zu vertreiben.

Dass die Ära Kohl nicht nur ein Höhepunkt der Realsatire war, sondern auch ihre dunklen Seiten hatte, erfuhr man direkt nach Hintzes gestriger Paradenummer. In Bad Kleinen steht es nun 2:3. Zwei Zeugen sahen eine Hinrichtung, drei Zeugen haben nichts gesehen. Wer wundert sich eigentlich noch, dass Rechtsradikale Morde an (Anders-)Denkenden begehen, wenn sich der Verdacht, dass die Regierung Kohl mit gutem Beispiel vorangeht, einfach nicht ausräumen lässt? Ob eine neue Regierung den Zweifel ausräumen kann? Oder sich wenigstens fragen wird, ob es sich lohnt, eine solche Tat zu decken?

Aber zurück zur Musik: Schröder will scheinbar am 3. Oktober nach seinem möglichen Wahlsieg mit einer musikalischen Vereinigung von Ost und West in die neue Legislaturperiode starten. Ach, wenn doch zwei Staaten, die immer die Weisheit für sich gepachtet hatten, sich ebenso schnell und harmonisch vereinigen ließen, wie zwei Hymnen! – Solingen 15. August 1998