High End Eyewear

Was will uns die Firma Zeiss damit wohl verkaufen?

›Zeiss. High End Eyewear.‹ So steht es, wie sollte es auch anders sein, auf einem Werbeplakat hier in Solingen. Was will uns das Traditionsunternehmen damit wohl verkaufen? Da auf dem Plakat ein Brillenträger abgebildet ist, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei ›High End Eyewear‹ um ein Brillengestell handeln könnte. Zweifelsohne ist es kein Kassengestell, obwohl man über Geschmack immer streiten kann, aber im Grunde schmückt die Nase des Fotomodells eine ganz normale Sonnenbrille mit tiefschwarzen Gläsern.

Ich kann mich natürlich auch irren. Denn angesichts der Fortschritte in der Biomedizin bin ich ganz und gar nicht sicher, ob ›High End Eyewear‹ nicht vielleicht die markenrechtlich geschützte Bezeichnung für einen rosaroten Mikrochip ist, der in den Augapfel implantiert wird und uns Dinge sehen lässt, die man ohne Rauschgiftkonsum sonst nie zu sehen bekäme. Das würde erklären, warum der Mann auf dem Plakat eine schwarze Sonnenbrille trägt, denn nach einer Operation sind die Augen ebenso lichtempfindlich wie nach dem Genuss von zu viel Alkohol. Und bestimmt muss ein solches High-End-Implantat erst richtig einwachsen, bevor man anderen Menschen damit tief in die Augen schauen kann.

Doch Spaß beiseite. Die Firma Zeiss verkauft Brillengestelle. Das ist zwar kein Low-Interest-Produkt, aber ein wenig Marktschreierei kann nie schaden, um etwas an den Mann oder die Frau zu bringen, was bei Fielmann so viel günstiger zu bekommen ist. Und da der Werbetexter von Fielmann mit seinem Spruch ›Brille: Fielmann‹ schon reichlich Kreativität gezeigt hat, blieb dem Texter von Zeiss nichts anderes übrig, als in einen Anglizismus zu fliehen.

Nun sind Werbefachleute ja alles hoch bezahlte Spezialisten, die nicht etwa aus lauter Einfallslosigkeit auf einen Anglizismus verfallen. Da steckt mehr dahinter! Ein Strategie! Mindestens! Wenn nicht gar eine Doppelstrategie! Doch keine Angst, ich werde nun den Zeissschen Anglizismus ganz gewiss nicht mit einem halben Dutzend weiterer Anglizismen aus dem Repertoire der Marketing-Auguren verteidigen. Ich möchte lediglich gegen das weit verbreitete Vorurteil angehen, Werbetexter verdienten ihr Geld im Suff.

Der Lapsus ›High End Eyewear‹ ist ganz gewiss nicht auf dem ansonsten recht hohen Misthaufen eines Werbetexters gewachsen. Solche Entscheidungen werden ganz oben getroffen, dort, wo sich das letzte Sprachgefühl in Umsatzzahlen verflüchtigt. Auf die Frage, warum in der Stadt Solingen, die bekanntlich weder eine englische noch überhaupt eine Metropole ist, mit diesem schmissigen Anglizismus geworben wird, gibt es mehrere Antworten. Und alle sind wenig schmeichelhaft.

Vielleicht glauben die Damen und Herren von Zeiss, dass die Käufer einer Brille glücklicher wären, wenn sie neben der Sehhilfe eine modische Verzierung für ihre Nase gratis hinzubekommen. Dies würde zwar erklären, warum der Zeisssche Werbetexter auf die schrullige Idee gekommen ist, eine Brille unter dem Oberbegriff ›Augenbekleidung‹ zu subsumieren. Was aber noch fehlt, ist die Begründung für das gewichtige ›High End‹. Was sich dahinter verbirgt, ist nun nicht besonders schwer zu erraten. Denn da Zeiss nicht gerade für modisches Design berühmt ist, blieb der Firma wohl nichts anderes übrig, als mit der deutschen Tugend ›Qualität‹ zu werben. Deutsche Produkte sind zwar nicht schön, dafür aber hart wie Kruppstahl. Und warum der Werbetexter sich weigerte, ›Augenbekleidung in guter Qualität‹ auf das Plakat zu schreiben, erklärt sich wohl von selbst. Also übersetzte man das, was auf Deutsch so lächerlich klingt, kurzerhand in einen mundgerechten und intellektschonenden Anglizismus.

Soweit so gut, doch bisher haben wir nur über Peinlichkeiten gesprochen und nicht über die oben erwähnte Doppelstrategie. Die könnte folgendermaßen lauten: Zeiss spricht Käufer von Brillengestellen an, die weder Geschmack noch Sprachgefühl besitzen, mithin zur überwältigenden Mehrheit gehören, so dass wir getrost von einer Erfolgsstrategie sprechen können.

Denkbar ist jedoch auch das Gegenteil. Geschmacklos ist der Hersteller und nicht der Käufer. Dann müssen wir die High-End-Strategie wohl als Flop bezeichnen.

Doch in Zeiten der Globalisierung kann jeder Anglizismus auch ein Anzeichen für die so typisch deutsche Tragikomödie sein, die auf dem Wirtschaftsparkett seit Jahren erfolgreich aufgeführt wird. Möchte hier wieder einmal ein Lokalmatador den Global Player geben und macht den gleichen Fehler wie viele vor ihm: statt global zu denken, hört er bloß auf lokal, sprich deutsch, zu handeln und will überall, auch in Solingen, gleich den ganzen Weltmarkt umarmen, wo hier doch außer ein paar Türken, Griechen und Italienern nur bergische Dickschädel hausen.

Nicht verschweigen will ich eine letzte Deutung des Anglizismus. Was, wenn die ›High End Eyewear‹ eine Art Insidergag wäre, den ich, humorlos wie ich bin, bloß nicht verstünde? Oder was, wenn mir der Werbetexter durch ein Augenzwinkern signalisieren möchte: Hey, das hier ist eine stinknormale Sonnenbrille: nicht besonders schön, nicht besonders billig. Das Beste, was du von dieser Brille erwarten kannst, ist, dass sie deine morgendlichen Ringe unter den Augen versteckt. Keine fünf Sekunden würdest du dich an dieses durchschnittliche Brillengestell erinnern. Aber über ›High End Eyewear‹ hast du gerade eine ganze Sudelei geschrieben. – Solingen den 29. April 2001