Volk und Zivilgesellschaft
So wie im Neoliberalismus die Gesellschaft aus lauter sich selbst entlang der Kapitalinteressen optimierenden Ich-AGs besteht, setzt sich die Zivilgesellschaft aus sich selbst in den politischen Prozessen optimierenden Lobbyorganisationen zusammen. Während der Begriff der Ich-AG, aufgrund seines werblichen Charakters, bereits bei seiner Entstehung als ideologisch entlarvt wurde, verbirgt der Begriff der Zivilgesellschaft seine ideologische Verankerung im Neoliberalismus und wird daher unhinterfragt verwendet. Die Interessen der zivilgesellschaftlichen Lobbyorganisationen sind vielfältiger und widersprüchlicher als uns der Begriff Zivilgesellschaft glauben machen will.
Das Volk ist aus der Politik verschwunden. Die demokratische Ideologie, nach der das Volk durch die Gesamtheit des politischen Prozesses vertreten würde, hat sich unauflöslich in ihre Widersprüche verwickelt und verliert ihre Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit.
Der natürliche Vertreter des Volkes wäre die kommunistische Partei, die aber in Deutschland seit Jahrzehnten verboten ist und damit nicht einmal als korrektive Kraft auf die repräsentative Demokratie einwirken kann. Versuche der Partei »Die Linke« an ihre Stelle zu treten, sind gescheitert. Die Partei hat sich in zivilgesellschaftlich orientierte Politiker auf der einen und Vertreter des alten, sozialistischen Volksbegriffs auf der anderen Seite gespalten. Anstatt die inneren Widersprüche dialektisch zu vermitteln und produktiv zu machen, verselbstständigte sich auf der einen Seite der sozialistische Volksbegriff unter dem Druck von rechts in einen nationalistischen, während auf der anderen Seite eine Vermittlung der beziehungslos nebeneinander stehenden, zivilgesellschaftlich geprägten Interessen weiterhin aussteht.
Eine zivilgesellschaftlich orientierte Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre inneren Widersprüche nicht auflöst. Sie ist weitgehend wirkungslos, da sie ideologisch vom Sog der Mitte erfasst wird, wohin auch die bürgerlichen Kräften tendieren. Sie überträgt den Lobbyismus, der ursprünglich vor allem die Wirtschafts- und Steuerpolitik beherrschte, auf alle Politikfelder und fördert damit die Erosion der Demokratie. Einzig der Faschismus entwickelt zurzeit die ideologische Radikalität, um den Standpunkt der Mitte als Ganzes nach rechts zu verschieben. Im Falle der AfD basiert diese Radikalität zwar vor allem auf begriffliche Subversion und rassistische Provokation. Aber damit gelingt es den Populisten, die Position des Volksvertreters ideologisch recht erfolgreich zu besetzen, während die anderen Parteien hilflos und untätig an die Zivilgesellschaft appellieren, sich dem Rechtsruck entgegenzustellen, während sie selbst weiterhin bewegungsunfähig in der Mitte sitzen und mit ihr weiter nach rechts abdriften.
Das klassische Subjekt linker Politik wäre die Klasse. Wenn man Klassenpolitik machen will, was für eine linke Partei nicht nur legitim, sondern auch angezeigt wäre, muss man sich bewusst machen, dass die Widersprüche innerhalb einer Klasse nichtantagonistisch sind, während die Widersprüche zwischen den Klassen, also zum Beispiel zwischen Arbeitern und Angestellten auf der einen Seite und dem Kapital auf der anderen, antagonistisch sind. Antagonistische Widersprüche lassen sich nicht miteinander vermitteln. Die Aufgabe linker Politik besteht daher in erster Linie darin, die nichtantagonistischen Widersprüche im Volk zu vermitteln. Der zivilgesellschaftliche Ansatz ist dazu aber denkbar ungeeignet, da er die Vermittlung in Analogie zum freien Spiel des Marktes durch die freie Einflussnahme einzelner Lobbys bewerkstelligen will. Damit aber werden die einzelnen Lobbys gegeneinander ausgespielt und die nichtantagonistischen Widersprüche zu antagonistischen hochgespielt.
Die nichtantagonistischen Widersprüche müssen miteinander vermittelt werden, damit ein politisches Subjekt entsteht. Das kann nur gelingen, wenn man von der Realität ausgeht; und die ist einerseits vom globalisierten Kapitalismus geprägt und andererseits von einem Verfall kollektiver und staatlicher Strukturen. Diese Realität prägt zwar alle Menschen, weil sie als Individuen in ihr leben, sie prägt aber nicht die Klassen, da die Realität vielmehr Produkt des Klassenkampfes ist. Diese Unterscheidung ist wichtig, damit man nicht vorschnell aus den falschen Motiven den Klassenkampf befriedet.
Eine linke Partei muss daher drei Dinge gleichzeitig tun.
-
Sie muss die Realität des Kapitalismus anerkennen, der nicht einfach überwunden werden kann, indem man ihn ablehnt oder indem man gegen ihn ankämpft, als wenn er durch glückliche Schläge zu überwinden wäre.
-
Sie muss die sozioökonomische Rückständigkeit unseres Landes erkennen und einen langfristigen Entwicklungsplan zu ihrer Überwindung vorlegen.
-
Sie muss die nichtantagonistischen Widersprüche, die teilweise bis ins Individuum hineinreichen, vermitteln, um ein handlungsfähiges, politisches Subjekt zu schaffen, das sich auf den Kampf gegen die antagonistischen Widersprüche konzentrieren kann.