Urheberrechte? Bezahlt endlich das Publikum!

»Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,
Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs
Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden,
Und dem Gevögel umher. So ward Zeus Wille vollendet:
Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
Atreus Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.«

Wem haben wir diese Zeilen zu verdanken? Einem mythischen Dichter, der unter dem Namen ›Homer‹ in die Geschichte eingegangen ist? Dem deutschen Dichter, Johann Heinrich Voß, der die Verse Homers im 18. Jahrhundert ins Deutsche übersetzte? Ja und nein! Die Verse, die vermutlich aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert stammen, wären in den Zeitläuften verloren gegangen, wären sie nicht von Generation zu Generation weitergegeben worden. Hätte niemand sie gelesen, sie auswendig gelernt und vorgetragen, hätte niemand sie abgeschrieben und aufbewahrt – Johann Heinrich Voß hätte nichts gehabt, was er hätte übersetzen können. Er hätte vielleicht nicht einmal gewusst, dass es jemals ein Epos über den Trojanischen Krieg gegeben hat. Das Publikum, das diese Verse liebte, die Gelehrten, die sie auslegten und kommentierten, die Dichter, die sie zitierten – sie haben die Ilias vor dem Vergessen bewahrt. Sie haben teilweise unter Lebensgefahr die Ilias durch die Kriege der Antike und die Barbarei des Christentums bis in die Neuzeit hinübergerettet. Sie haben das kulturelle Phänomen ›Homer‹ durch Zitieren, Kommentieren, Auslegen und Tradieren erst erschaffen. Wir verdanken die Ilias den Lesern!

Was für Homer gilt, gilt für jeden Dichter, für Shakespeare, für Goethe, für Tolstoi. Ihre Werke sind da, weil sie gelesen wurden. Und die Werke ihrer Zeitgenossen, die heute vergessen sind, sind vergessen, weil sich keine Leser fanden, die sie weitertrugen.

Mozart wäre heute so unbekannt wie Salieri, wenn seine Musik nicht so häufig kopiert und aufgeführt worden wäre. Mozart ist längst mehr als die Summe seiner Noten, er ist die Summe aller Interpretationen, die weiterwirkten und Generationen beeinflussten. Seine Musik lebt in uns, weil sie in uns singt, ohne dass eine Verwertungsgesellschaft wie die Gema ihre Hand dafür aufhalten darf. Wir verdanken Mozart seinem Publikum, das ihn in zwei Jahrhunderten erst wahrhaft erschuf.

Jedesmal, wenn jemand die ›Kleine Nachtmusik‹ anstimmt, jedesmal, wenn jemand eine Melodie Mozarts aufnimmt und variiert, jedesmal, wenn jemand ein Stück von Mozart hört, fügt er ein Glied in die Kette der Tradition, die Mozarts Musik mit der Zukunft verbindet. Und je häufiger und intensiver wir uns mit seiner Musik beschäftigen, um so stärker wird die Kette der Tradition.

Wenn wir also dafür sorgen wollen, dass unsere Kultur auch morgen noch existiert, dann sollten wir endlich anfangen, die Träger unserer Kultur – das Publikum zu bezahlen. Sie tragen die Werke der Literatur, der bildenden Kunst und der Musik in die Zukunft. Sie haben eine Belohnung verdient! Wann also wird endlich das Publikum entlohnt?

Leider sind wir davon weiter entfernt als jemals zu vor. Die Verachtung des Publikums könnte kaum größer sein. Das Publikum wird erniedrigt zu einer Masse von Konsumenten, die Werke fressen und dafür zahlen sollen. Es wird durch Nutzungsbestimmungen entmündigt, gemaßregelt und kriminalisiert. Die juristische Fiktion des ›geistigen Eigentums‹ wurde zu einem Freibrief der Ausbeutung.

Kultur ist Weitergabe, nicht Verwertung. Die Schöpfer spenden der Allmende der Kultur. Ihre Werke gehören niemandem, aber sie haben jedem etwas zu sagen.