Tödliche Windkraft

Japan kann aufatmen. Die Arbeiter in Tokaimura haben noch mal Schwein gehabt, dass sie in einer Wiederaufbereitungsanlage und nicht in einer Windkraftanlage gearbeitet haben. Nur 19 Menschen wurden ein wenig verstrahlt, als sie mit 16 Kilogramm Uran herumhantierten, obwohl für diesen Arbeitsgang nur 2 Kilogramm erlaubt sind. Eine kleine Nachlässigkeit, die aber, wie man sieht, keine schlimmen Folgen hat. In einer Windkraftanlage hätte eine solche Fahrlässigkeit jedoch eine Katastrophe auslösen können. Dann hätte es wesentlich mehr Opfer gegeben, denn Windkraft ist mindestens ebenso gefährlich wie Atomkraft, sagt Alfred Voß, Leiter des Instituts für Energiewirtschaft der Universität Stuttgart. Dank dieser Armleuchte der deutschen Wissenschaft wissen wir nun, »dass die gesundheitlichen Risiken der Atomkraft nicht höher sind als die der Windkraft.«

Dieser Voß, dessen Intelligenz man wohl in Becquerel pro Synapse messen muss, hat gemeinsam mit 569 anderen Leuchten aus Industrie und Wissenschaft, wie z. B. Joachim Grawe vom Verband Deutscher Elektrizitätswerke, Manfred Popp vom Forschungszentrum Karlsruhe, Adolf Birkhofer von der TU München und Dagmar Schipanski, der ehemaligen Bundespräsidentinnenkandidatin und zukünftigen Thüringer Wissenschaftsministerin der CDU, einen Appell an die rotgrüne Bundesregierung verfasst, in dem sie diese auffordern, »ihre Atomausstiegspläne ernsthaft zu überdenken«.

570 Atomwissenschaftler und eine Bundespräsidentinnenkandidatin können nicht irren. Und jeder, der nicht vom Atomblitz verblendet ist, wird einsehen müssen, dass dies kleine Feuer im Kernkraftwerk von Tschernobyl doch nun wirklich nicht so schlimm gewesen ist. Wo es brennt, kommen, das ist seit Jahrtausenden so, immer wieder auch Menschen zu Schaden. Aber man muss doch zugeben, dass die leukämiekranken Kinder aus der Ukraine, die auf konspirativen Wegen von Antiatomkraftgruppen immer wieder in die Bundesrepublik geschleust werden, doch wirklich nur eine kleine, unbedeutende Einschränkung ihrer Lebensqualität hinnehmen mussten. Wären diese Kinder aber von einem wild gewordenen Windrad erschlagen worden, hätten die gefährlichen Rotorblätter sie, wie eine Möhre in der Küchenmaschine, zerhackt, zerschnipselt, zerbröselt und ihre unkenntlichen Leichenteile wären vom bösen Winde verweht worden.

Man braucht sich nur einmal in die Nähe eines Windrades zu wagen, um die Gefährlichkeit hautnah zu spüren. Wou-wou-wou bedrohlich schwingt der totbringende Propeller über unsere Köpfe hinweg. Steht man dagegen vor einem Atomkraftwerk, so hört und sieht und riecht man nichts. Alles ist still und ruhig und gut.

Böse Zungen behaupten ja, Dagmar Schipanski habe sich diesem Aufruf anschließen müssen, weil sie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben habe; damals als die CDU sie als Bundespräsidentinnenkandidatin auserkoren hat. Und die anderen 569 Professoren und Funktionäre, so munkelt man, stünden alle direkt oder indirekt im Sold der Atomindustrie. Es sei nicht die radioaktive Strahlung, die das Gehirn schädige, sondern vor allem das Geld der Atomlobby, das Denken und Gewissen vollkommen auszuschalten vermag. Das ist natürlich alles üble Verleumdung. Die verstrahlten Kinder von Tschernobyl können sehr wohl klare Gedanken über die Atomkraft fassen, und eine Frau Schipanski und die übrigen Leuchten unterschreiben eine solche Resolution ganz bestimmt nach besten Wissen und Gewissen. Mehr Wissen und Gewissen kann man von diesen Leuten einfach nicht verlangen!

Ich bin ein kompromissloser Anhänger des gesamtgesellschaftlichen Konsenses und habe deshalb einen Vorschlag zur Güte. Seit Jahren sucht man nun doch schon nach einem Kriterium, mit dem man faule und dumme Professoren von fähigen und intelligenten unterscheiden kann. Die 570 atomaren Professoren haben uns dieses Kriterium nun frei Haus geliefert. Sie erweisen sich durch ihren Appell als dermaßen fachkompetent, weise und weitblickend, dass sie nun wirklich einmal Sonderurlaub verdient haben: am besten ganz weit weg. In Japan vielleicht. Dort könnten sie dann auch gleich mit einem Wischmopp die Sauerei wieder aufwischen, die ihr Schreibtischtäterdenken angerichtet hat. Denn, wie diese Geistesgrößen uns selbst gesagt haben, in einer Wiederaufbereitungsanlage ist es genauso sicher wie auf einem Kartoffelacker neben einem Windrad. Und vielleicht wirkt harte Strahlung ja sogar anregend auf ihre grauen Zellen. Dann klappt es auch wieder mit der Lehre und Forschung. – Solingen 30. September 1999