»Wer einen Baum fällt, soll fallen wie ein Baum.«

Vorschlag für eine theatralische Alternative zum Staffellauf fürs Klima der deutschen Theater.

Unter dem Motto »Auf die Plätze! Endlich! Los!« veranstalten 46 deutsche Theater und Theaterfestivals zusammen mit freien Ensembles und Theaterschaffenden seit dem 1. Mai einen Staffellauf fürs Klima. Diese tolle Aktion erinnert mich an die Staffelläufe in meiner Schulzeit, mit denen wir unsere Klassenfahrten finanzierten. Für jede Runde, die ihr Kind um den Sportplatz lief, zahlten die Eltern eine Mark in die Klassenkasse. Diese schöne sportliche Tradition wurde, wie ich bei meinen Söhnen erfahren durfte, bis in das Zeitalter des Euros fortgeführt. Die wohlhabenderen Eltern mieten heute für ihre Zöglinge sogar rechtzeitig vorher einen Personal-Trainer, damit ihre Kinder in Form kommen und sie ihre soziale Ader richtig ausleben können.

Als ich von dem Staffellauf der deutschen Theater hörte, war meine Begeisterung groß, und ich fragte mich, wer wohl auf diese Idee gekommen sein mag: die Regisseure und Dramaturgen der Theater oder die Fremdenverkehrsvereine und Stadtmarketingagenturen? Die Antwort erübrigt sich allerdings, da der Unterschied zwischen beiden Gruppen sich mittlerweile auf die Papierqualität ihrer Programmheftchen reduziert. Und auch einige Fragen stellen sich heute nicht mehr. Zum Beispiel sinnierten vor Jahren Intellektuelle noch über die Frage, warum sich die gesellschaftliche Relevanz des Theaters so hartnäckig unterhalb die Nulllinie hält, bei der die Ärzte in der Regel ihre Geräte längst abgeschaltet haben. Heute sind solche Intellektuellen mit ihren Fragen verschwunden.

Die Initiatoren des Staffellaufs sind natürlich keine ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer, die ihre beruflichen Erfahrungen in den Dienst einer guten Sache stellen. Sie sind auf der Höhe der Zeit und digital bewanderte Social-Media-Experten. Sie haben für ihre Aktion nämlich eine Facebook-Seite eingerichtet. Ist das nicht wegweisend?! Die Ruhrfestspiele Recklinghausen, das Theatertreffen Berlin, das Theater Dortmund, das Schauspielhaus Bochum, das Pina Bausch Zentrum in Wuppertal, die Staatstheater Karlsruhe und Stuttgart, das Staatsschauspiel und die Staatsoperette Dresden, das Theater der Jungen Generation in Dresden sowie die Bayrischen Theatertage in Bamberg, das Stadttheater Ingolstadt und viele andere Theaterschaffende sind der Meinung, dass eine Facebook-Seite im gesellschaftskritischen Theater von heute einfach nicht fehlen darf. Das hat, angesichts der Tatsache, dass die Menschen gerade in Scharen die kommerziellen Plattformen der Multimilliardäre verlassen, um im freien Fediverse den Widerstand zu organisieren, den Charme eines Faxgeräts im Gesundheitsamt einer beliebigen deutschen Kleinstadt.

Mein Urteil mag befangen sein, denn die Klima-AGs der Theater haben natürlich auch mich nicht nach einem künstlerischen Beitrag zu ihrer Aktion gefragt. Mein vom epischen Theater Brechts inspiriertes, theatralisches Happening »Wer einen Baum fällt, soll wie ein Baum fallen!« kam deshalb auch nicht zum Zuge. Dabei enthält diese Performance alles, was das moderne Theater ausmacht.

Auf großen Gerüstwagen werden jeweils ein Dutzend Schaufensterpuppen mit verbundenen Augen auf den großen Richtplatz vor dem Stadttheater gefahren. Die Puppen im ersten Wagen sind gekleidet wie Holzfäller. Sobald der Wagen anhält und die Menge laut zu johlen beginnt, werden die Holzfäller auf das Blutgerüst geführt, wo sie stehend die Gelegenheit zu einem letzten Wort haben. Anschließend fällt der Henker sie mit einer Kreissäge, wobei er den Schnitt unterhalb des Knies ansetzt. Er durchtrennt dabei auch eine künstliche Vene, die nahezu unsichtbar an den Puppen angebracht ist und in ein Reservoir mit Schweineblut der Firma Tönnies (Sponsor) führt. Das herauslaufende Blut wird von der Kreissäge effektvoll über das Publikum gespritzt.

Die gefällten Puppen werden vom Blutgerüst getragen und auf die Straße gelegt. Das Publikum hat die Wahl, den Puppen mit Verbandszeug zur Hilfe zu eilen oder sie zu steinigen.

Im zweiten Wagen stehen ein Dutzend Puppen, die als Polizisten gekleidet sind. Sie sind mit allem ausgerüstet, was sie für die Räumung von Baumhäusern benötigen. Auch sie haben die Gelegenheit zu einem letzten Wort, bevor die Säge ansetzt.

Im dritten Wagen befinden sich Puppen, die als Politiker und Investoren gekleidet sind. Die Politiker erkennt man daran, dass sie mit ihren Köpfen im Mastdarm der Investoren stecken. Auf dem Blutgerüst werden die Politiker aus den Ärschen der Investoren herausgezogen, sodass sie Gelegenheit haben, die letzten Worte der Investoren nachzusprechen. Ihrem hohen Stand entsprechend wird ihnen die Ehre zuteil, unter einer historischen Guillotine geköpft zu werden.

Die Theaterensembles vor Ort können anschließend improvisieren und weitere als Klimakiller gekleidete Schaufensterpuppen jeweils im Dutzend zum Schafott führen.

Um das bürgerliche Illusionstheater subversiv zu unterlaufen, wird das Publium anschlließend noch einmal direkt einbezogen. Die Richter und Henker fragen willkürlich ausgewählte Zuschauer, ob sie ein motorisiertes Fahrzeug besitzen, in einer Wohnung leben, die mit fossilen Energieträgern beheizt wird oder im letzten Jahr eine Flugreise angetreten haben. Wenn sie eine dieser Fragen bejahen, werden sie nackt ausgezogen. Ihre Kleider werden einem Dutzend Schaufensterpuppen übergestreift. Anschließend werden die Puppen ebenfalls exekutiert.

Um das Publikum durch die einsetzende Selbstreflexion nicht zu lang zu verstören, endet das Mitleid und Furcht erregende Revolutionstheater mit einer reinigenden Katharsis. Die städtische Straßenreinigung wischt das Schweineblut vom Platz und adrette Hostessen reichen Schnittchen.