An ihren Festen sollt ihr sie erkennen

Der äthanolgetriebene Straßenkarneval hat begonnen. Nun herrscht die Zeit, die für humorvolle und musikalische Menschen nicht bloß ein vorgezogener Aschermittwoch, keine leicht verlängerte sechsundvierzigtägige Fastenzeit ist, sondern ein ausgewachsenes Purgatorium in den inneren Kreisen der Hölle.

Was jetzt auf die Bühnen steigt und von den trunkenen Massen beklatscht wird, muss das übrige Jahr zum Lachen in den Keller gehen und zum Musizieren noch eine Etage tiefer hinabsteigen. Und was in den nächsten Tagen auf den Straßen – die Flasche unter dem Arm – umherläuft, schämt sich sicherlich auch in den übrigen vier Jahreszeiten nicht für seine erbärmlichen Schminkkünste.

Ohne eine leberschädigende Ladung Alkohol können selbst notorische Narren und Jecken die kulturellen Höhepunkte ihrer Büttenredner und Fastnachtssänger nicht mehr ertragen. Kein Wunder, dass sich die Städte und Kommunen vor dieser Zeit mehr fürchten als vor Flüchtlingsströmen, Naziaufmärschen und Fußballspielen der Bezirksliga Ost. Wer auf einer Pegida-Demonstration in Dresden war und Menschenfreund geblieben ist, mag nun auf die Straße gehen, sich unters Volk mischen und seine Standfestigkeit prüfen.

Die Geschichte des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings ist frei erfunden. So will uns Wikipedia weismachen, dass schon vor 5000 Jahren in Mesopotamien ein Vorläufer des Karnevals gefeiert worden wäre, bei dem »die Sklavin der Herrin gleichgestellt« sei und »der Sklave an seines Herrn Seite« fiere. Mit diesem sozialrevolutionärem Ventil, so Wikipedia weiter, habe bereits unter dem Priesterkönig Gudea ein Fruchtbarkeitsfest den Gleichheitsgrundsatz des Karnevals verwirklicht. Aber machen wir uns nichts vor. Der Karneval auf den Straßen unserer tristen Republik geht weder auf dionysische Frühlingsfeste, Saturnalien und Lupercalien, noch auf Winteraustreibungen oder Kinderepiscopate zurück.

Zum Karneval kommen einfach Menschen, die ihr Leben, in dem alles Schöne, Gute und Wahre bereits ausgetrieben wurde, nicht mehr ertragen können, zusammen, um sich gemeinsam zu betrinken, zu grottenschlechter Musik umherzuhüpfen und auf Tuschkommando über schlechte Witze zu lachen. Solange sie das im Gürzenich tun, mag es uns recht sein. Aber was treibt sie bei Eiseskälte auf die Straße?

Wie anders feiert man da doch auf der Südhalbkugel. Am Hafen, in der Altstadt von Montevideo, sah ich im letzten Jahr eine Murga. Bei immer noch über 25° C zog kurz vor Mitternacht, angetrieben von dem siedenden Rhythmus der Trommler mit ihren Bombos, Platillos und Redoblantes, eine tanzende Menge an uns vorbei durch die engen Gassen Montevideos. Die Murga soll aus Elementen des Karnevals im südspanischen Cádiz und auf den Kanaren entstanden sein, wobei sich in Uruguay schließlich afrikanische Einflüsse behauptet haben. Sklaven, so will es die Überlieferung, zogen für die Murga die Kleidung ihrer Herren an und äfften sie auf den Straßen tanzend nach. Mesopotamien lässt grüßen.

Auch jenseits des Rio de la Plata in Buenos Aires konnten wir im letzten Jahr dem Straßenkarneval nicht entgehen. Am Tag eines Umzugs wurden mittags in den Supermärkten in unserem Viertel die Wein-, Bier- und Spirituosenregale mit Klarsichtfolie versperrt. Denn kurz vor und während eines Umzugs ist der Verkauf von Alkohol im Barrio nicht erlaubt.

Ich will die vermeintlich ursprünglicheren Zustände in anderen Ländern nicht verherrlichen, die uns vielleicht nur das glücklichere Klima voraus haben. Aber wie auch immer. Mehr denn je gilt an Karneval die christliche Weisheit: Nicht an ihren Worten, an ihren Festen sollt ihr sie erkennen.