Alaaf – de Zoch kütt!

Die bedauernswerten Menschen, die vom Karneval keinerlei Ahnung haben, mokieren sich häufig über die minutiös geplanten und in strenger Disziplin durchgeführten Karnevalssitzungen. Das steife Zeremoniell, so sagen sie, passe nicht mehr zum telegenen Frohsinn des Straßenkarnevals. Spaß und Jux – schön und gut, aber das närrische Treiben in der fünften Jahreszeit ist eine ernste Angelegenheit.

Es reicht schon lange nicht mehr aus, ein paar Stangen Kölsch mehr als sonst zu trinken, schlüpfrige Lieder zu singen und lustig zu sein, zumal die Konkurrenz immer größer wird. Hat man früher gerade mal in Köln, Düsseldorf, Mainz und anderen ausgesprochenen Karnevalshochburgen gefeiert, so hält sich heutzutage jede Kleinstadt ein Dreigestirn, einen Elferrat oder sonst eine karnevalistische Tollität. Daran, dass mittlerweile sogar rechtsrheinisch gerufen wird: »Funke opjepaß! Zum Stippeföttche präsenteet die Klabüss« hat man sich in der multikulturellen Gesellschaft ja schon gewöhnt. In diesem Jahr aber steht insbesondere der bodenständige Kölsche Karneval vor seiner größten Bewährungsprobe. Denn es kommt ganz dicke!

Da wird nicht nur an Rhein und Ruhr, an Main und Neckar und an Donau und Isar die decke Trum geschlagen und Bützche verteilt, nein auch am Potomac hält der filigranhumoristische Sitzungskarneval Einzug. Was uns Rheinländern der Rosenmontag oder der Wieverfastelovend ist, ist den Potomacanern das Impeachment. Seitdem man in Washington das ZDF und den WDR empfangen kann, wurde der Karneval auch in der sonst eher angelsächsisch steifen Metropole schnell heimisch. Insbesondere die Sendung ›Mainz bleibt Mainz‹ diente dem amerikanischen Sitzungskarneval als Vorbild.

Kamelle für Clinton und Wibbeln mit Monika, das lässt das Herz jedes Jecken höher schlagen. Gottseidank: Senat und Repräsentantenhaus, der Präsident der Vereinigten Jecken und die närrische Monika können dem Elferrat, dem Dreigestirn, der Prinzengarde und dem Funkenmariechen den Rang noch nicht wirklich streitig machen. Doch wer weiß, welche Lachsalven abgeschossen werden, wenn die närrische Monika, der nubbelige Starr oder sogar seine Tollität Präsident Bill I in die Bütt treten und den ganzen Jecken-Senat zum Kochen bringen.

Doch der unbestreitbare Höhepunkt der Saison fand – wie tröstlich für einen Rheinländer – in dieser Woche am Ill statt, der – dem Nubbel sei Dank – ja in den Rhein fließt. Das karnevalistische Großereignis, organisiert und durchgeführt von fast 666 Jecken aus mehr als 11 Nationen, war eine herrlich närrische Sitzung des europäischen Parlaments, das mit Alaaf und Helau der Europäischen Kommission, dem Brüsseler Elferrat, die Leviten las. Jecke Stimmungskanonen aus allen Parteien gingen bis spät in die Nacht hinein in die Bütt, und es gab jede Menge Strüßjer für Bauer und Jungfrau, Cresson und Marin, und zahllose dreifach krachende Euro Alaafs für Prinz Jacques von Wasserbillig!

Trotz Prinzenskandal, trotz Willy Millowitsch, trotz Dom und Kölsch – der Kölner Karneval wird es in diesem Jahr schwer haben, dem Straßburger Narrenparlament auf zünftige Art Paroli zu bieten. Und schon wird daher in Köln und in anderen traditionsreichen Hochburgen des närrischen Frohsinns der Ruf nach einem Wahlboykott laut.

Und ich frage mich wirklich: Soll man im Juni tatsächlich seine Stimme Leuten geben, die mit offenem Visier uns rheinischen Frohnaturen, den Meenzern und den Faschingsbayern den Kampf ansagen und mitten im Sitzungskarneval eine solche Narrenposse aufführen? Es reicht ja wohl, dass wir dieses Jahr rufen müssen: »De Euro kütt!« Oder?

Solingen bei Köln, 14. Januar 1999*