Die europäische Renaissance geht zu Ende

›Hast Du einen Opa, dann schick’ ihn nach Europa.‹ ›Bangemann, geh’ du voran.‹

Diese beiden mittlerweile schon legendär gewordenen Redewendungen charakterisieren das Phänomen Bangemann in enthüllender Weise. Zunächst einmal ist Martin Bangemann kein Opa, sondern der Archetypus eines dem Diesseits zugeneigten EU-Kommissars: fleißig beim Abrechnen von Reisespesen, hoch kompetent in der Gestaltung seiner Freizeit und von stoischer Loyalität seinem Geldbeutel gegenüber, erfüllte er das bürokratentrockene Brüssel mit Lebensfreude und Sinnenlust. Martin Bangemann war ein Vorzeige-Kommissar, der so intensiv den Bau seiner Yacht in Rostock überwachte, dass er in keinerlei Korruptionsskandale in Brüssel verwickelt werden konnte.

Martin Bangemann ist ein Renaissance-Mensch, er lebte in Brüssel wie ein Medici in Florenz. Dem guten Leben aufgeschlossen förderte er in jeder nur denkbaren Hinsicht die kreative Freizeitgestaltung seiner Mitarbeiter durch eine allzeit gut gefüllte Kaffeekasse. Großzügig wie ein Renaissance-Papst verteilte er Pfründe und Wettbewerbsvorteile an seine Freunde und Gönner aus der Telekommunikation. Seine Geselligkeit kannte keine Grenzen, wurde die schnöde Arbeit doch von seinen Bürokraten erledigt, die ihn nie mit Akten oder gar Problemen behelligten, was er ihnen dadurch dankte, dass er sie nie kontrollierte.

Leider hat Martin Bangemann, wie alle herausragenden Persönlichkeiten, die mit eleganter Finesse Pensionen akkumulieren können, seine Neider. Sogar in der F.D.P. regt man sich über sein kleines Segelboot, seine spanische Finca und seinen neuen Ruhesessel bei der spanischen Telefonica auf, als würde Geld auf einmal auch in der F.D.P. einen unangenehmen Geruch verbreiten.

Es scheint so, als ginge das Zeitalter der europäischen Renaissance zu Ende. Ein kalter kalvinistischer Hauch weht durch Brüssel und will die Kommission von Günstlingsökonominnen und Lebemännern reinigen. Das verspielte Nehmen und Leben lassen, soll ein Ende haben. Vorbei die Zeiten, in denen die Paladine des großen Kommissionspräsidenten, die Lobbykultur verfeinerten und die Kunst des Töpfeaufmachens zur Perfektion trieben. In Zukunft soll es keine singenden und tanzenden Höflinge in der Lobby mehr geben, sie sind zu teuer geworden und wurden wegrationalisiert. Ein einfacher Anruf vom nüchternen VW-Chef beim protestantisch spröden Schröder soll fortan genügen.

Den Bangemanns Europas stehen schwere Zeiten bevor. Wo sollen sie ihre kostspielige Humanität in Zukunft ausbilden und perfektionieren lassen, wenn von den EU-Kommissaren bloß noch Fachidiotie und soldatischer Gehorsam verlangt wird? Nein, wir deuten die Zeichen nicht falsch, ein Zeitalter wirtschaftspolitischer Prüderie kommt über uns. Bangemann gerät in die Fänge der Inquisition: Monetäre Promiskuität werfen ihm die moralinsauren Angelsachsen vor. Und es würde mich wundern, wenn Bangemann der einzige blieb, der auf dem Scheiterhaufen der medienwirksamen Heuchelei verbrannt würde. Denn schon einmal hieß es: ›Bangemann, geh’ du voran‹. Damals, als die F.D.P. aus dem scholastischen Mittelalter aufbrach und ins Zeitalter der sorglosen Abschreibungsfreuden hineintanzte und einen Vorsitzenden von Statur und Charakter brauchte.

Ach, wäre Bangemann doch schon vor Jahren mit seinem Segelboot aufgebrochen, die Weltmeere zu erkunden. Vielleicht hätte er irgendwo das mythische Eldorado gefunden und den ganz großen Topf aufgemacht. – Solingen 7. Juli 1999