Cash ’n Cashmere

Der Gang Lafontaines ins politische Exil war richtig, denn die Börsenkurse sind um 7% gestiegen. Und die Börse hat immer Recht. Alles, was die Aktienkurse steigen lässt, ist edel, hilfreich und gut. Auch die britische SUN, neben der sich die BILD-Zeitung ausmacht wie die ZEIT in ihren besten liberalen Zeiten, ließ die Sektkorken knallen. Und die SUN hat immer Recht. Alles, was die hoch intelligenten und politisch differenziert denkenden Analysten der SUN verzapfen, ist edel, hilfreich und gut. Ferner triumphierte die Versicherungsbranche, die sich so rührend um unser aller Sicherheit kümmert, über den gefährlichsten Mann Europas. Und das in unser aller Interesse! Denn wer von uns ist nicht auf die Großzügigkeit der Versicherungen angewiesen, wenn es einmal knallt? Alles, was Versicherungen absichert, ist edel, hilfreich und gut.

Jetzt wird alles gut, die Arbeiter in den deutschen Atomkraftwerken und in den ausländischen Wiederaufbereitungsanlagen werden nicht arbeitslos werden, der Euro steigt, so dass wir unsere Exporte auf den Weltmärkten nicht mehr zu Dumpingpreisen verschleudern müssen und die Kegelclubs im Urlaub in Thailand weiterhin mit einer harten Währung zahlen können, die SPD ist endlich in der neuen Mitte zwischen Online-Broking und ›Wetten, dass…‹ angekommen und die rührigen deutschen Arbeiter und Angestellten freuen sich, dass ihre reichen Chefs bald noch weniger Steuern zahlen müssen.

Alle fragen sich, warum Lafontaine gerade jetzt zurücktrat. Spekulationen schießen ins Kraut. 1990 wollte eine Verrückte Lafontaine ermorden. Vielleicht fürchtete der Familienvater Oskar, dass es beim nächsten Mal ein Profi versucht. Oskar hat sich mit der Macht angelegt. Und jeder, der sich mit der Macht anlegt, ist böse, machthungrig und gewissenlos. Der gute Gerhard lässt sich dagegen lieber im Cashmere-Mantel fotografieren, als zu versuchen, das skandalöse Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich umzusetzen. Wenn das nicht edel, hilfreich und gut ist!

Und noch ein Gutes hatte Lafontaines Rücktritt. Wegen des Rummels waren die Unterschriftentische der CDU in der Fußgängerzone heute fast völlig verwaist. Obwohl die CDU mittlerweile sogar schon mit blondierten Türkinnen Werbung für Ausländerinnen in deutschen Trikots von Adidas macht, will scheinbar kaum noch jemand der CDU bei ihrem radikalen Integrationskurs folgen. Vielleicht haben aber mittlerweile auch schon alle Analphabeten unterschrieben. Es hat mich immer gewundert, dass jemand, der offensichtlich nicht lesen kann, eine Unterschrift zu Stande bekommt. Es mogeln sich doch mehr Analphabeten durchs Leben, als man denkt.

Lafontaines Rücktritt befreit die deutsche Politik von störender Programmatik, ja sie befreit die Wirtschaft von Politik überhaupt: weder Sekt noch Selters, sondern Cash und Cashmere werden zukünftig die Richtlinien der deutschen Politik bestimmen. – Solingen 13. März 1999