Es werden keine Gefangenen mehr gemacht

Da saßen wir letzte Woche vor der Glotze und ließen die krause Geschichte des Krimis ›Mord in Wien‹ an uns vorbeirauschen, als meine Frau plötzlich empört zusammenzuckte. Die Heldin der Geschichte eine proletarische Ermittlerin aus der Abteilung Innere Ermittlung hatte gerade eine Frau mit mehreren Schüssen erschossen, obwohl diese bereits nach dem ersten Schuss dabei war, wehrlos zusammenzubrechen. Auf das erschütterte “Warum?” meiner Frau antwortete ich ebenfalls ziemlich entgeistert: “Sie wollte wohl auf Nummer Sicher gehen.” Nun wird der Tod des Bösewichts im Film in aller Regel emotional so gut vorbereitet, dass dem Zuschauer bei der Illusion solch ausgleichender Gerechtigkeit einer abgeht.

Das Teuflische dieser Frau bestand aber hauptsächlich darin, dass sie mit den beiden männlichen Bösewichten, zwei russischen Brüdern, gleichzeitig etwas am Laufen hatte. Weibliche Untreue ist wohl bis heute ein Zeichen für große Verworfenheit, die besonders hart bestraft werden muss. Sie stirbt zusammen mit den beiden Brüdern, wobei einer der Brüder auch noch von dem anderen erschossen wird.

Die Todesschützin, wohlgemerkt eine Ermittlerin der Inneren, also eine Schreibtischtäterin, deren Schießkünste uns im Film als nicht besonders ausgeprägt dargestellt werden, steckt den Todesschuss überraschend gut weg. Das ist überraschend. Denn eigentlich ist es fester Topos im deutschen Fernsehen, dass Polizisten, falls sie zu den Guten gehören, Todesschüsse über mindestens drei Fortsetzungsfolgen hinweg bereuen, zur Flasche greifen und mühsam von ihren Kollegen wieder aufgerichtet werden müssen. Und dass die Ermittlerin kein herzloses Wesen ist, sollte selbst komatösen Zuschauern ins Auge fallen. Zusammen mit ihrer Schwester erzieht sie nach dem Tod ihrer Tochter ihre farbige Enkelin. Man sieht, am Drehbuch wurde politisch korrekt gearbeitet.

Die Polizistin ist also durchaus zu seelischer Erschütterung fähig. Als ihr Kollege, ein mit seiner Familie, den Habsburgern, zerstrittener Kaisersprössling mit angedeuteter bisexueller Neigung, einen Angreifer, der ihr ein Messer an die Kehle drückt, mit einer kleinen weibischen Pistole, seinem ›Glücksbringer‹ erschießt, ist sie völlig fertig. Allerdings geht ihr nicht der Tod des Angreifers nahe, den Ermittler im Fernsehen wenigstens deshalb bedauern müssen, weil ein wichtiger Zeuge fortan stumm bleibt. Sie ist erschüttert, dass der Adelige eine Waffe auf sie gerichtet und abgedrückt hat.

Nun wurde uns der Film von der hausinternen PR-Abteilung am Vorabend unterschwellig als eine Art James-Bond-Film präsentiert. Und in diesem Genre werden die Bösewichte – Rechtsstaatlichkeit hin oder her – bekanntlich wie Fliegen hingestreckt. Im deutschen Krimi sind die Redakteure jedoch in der Regel peinlich darum bemüht, den Bruch von Rechtsstaatlichkeit durch die Polizei auf Petitessen wie die Unverletzlichkeit der Wohnung zu reduzieren. Exzessive Gewalt durch eine Ermittlerin der Inneren gehörte bisher nicht zu den Dingen, die der Zensor durchließ.

Doch die Zeiten ändern sich. Der Faschismus ist wieder da und Abgeordnete des Bundestages können ungestraft sagen, man solle sich immer hinter die Polizei stellen, wenn ein Beamter einen zwar unbewaffneten, aber farbigen Jugendlichen durch mehrere Schüsse in Rücken und Hinterkopf niederstreckt.

Die Erschießung einer Verdächtigen mit gezielten – wir erinnern uns an die schlechten Schießkünste der Ermittlerin – aber eigentlich überflüssigen Schüssen darf dem Zuschauer nicht nur zugemutet werden. Er verlangt wohl mittlerweile danach. Die Fernsehredakteure schauen auf die Wahlergebnisse, die Umfragen und die Sendezeit, die man Faschisten im Fernsehen überlässt, und schließen daraus, dass die Mehrheit der Zuschauer Verbrecher lieber an Ort und Stelle erschossen, statt vor Gericht gestellt sehen will.

Apropos Verbrecher. Nach dem Massaker stellt sich heraus, dass die russischen Brüder die hohen Beamten der österreichischen Sicherheitsbehörden, die zu Beginn des Films mit ihrem letzten Bissen im Mund vor ihrer Jagdhütte erschossen aufgefunden werden, gar nicht ermordet haben. Sie haben sie bloß jahrelang bestochen.

Die korrupten Beamten wurden von einer jungen Kollegin der beiden Ermittler ermordet, die als Computerexpertin – vulgo Rachegöttin ex machina – alles geschickt vorbereitet hatte. Sie wollte sich aber nicht so sehr an den beiden Russen rächen, sondern an den korrupten Beamten, die ihren Vater – ebenfalls Polizeibeamter –, der sich nicht korrumpieren lassen wollte, vor vielen Jahren in den Selbstmord getrieben hatten.

Die Mordlust der Russen bleibt im Film eine Behauptung und löst sich am Ende in Luft auf. Die Sekretärin und Geliebte der beiden russischen Brüder hat sich damit außer doppelter Libido nicht viel zu schulden kommen lassen. Bis auf eins. Sie hat gegen den Urenkel des letzten österreichischen Kaisers unverblümt drohende Andeutungen gemacht, als dieser ihr ein plumpes Kompliment machte. Vermutlich war das in den Augen der Drehbuchautoren und Redakteure ihr Todesurteil.

Der Film ist in der ARD Mediathek noch bis zum 23. Juli 2025 verfügbar.