Als Laschet Beuys kastrierte

Es muss für den CDU-Mann Armin Laschet eine späte Genugtuung gewesen sein, als er die Schirmherrschaft für eine Ausstellung übernahm, die Joseph Beuys mit einer des Anlasses würdigen kultischen Verehrung kastriert. Immerhin hat sich Laschets CDU in Kassel bis auf die Knochen blamiert, als sie gemeinsam mit der FDP keine Gelegenheit ausließ, um mit kleinbürgerlicher Verbissenheit gegen die soziale Plastik 7000 Eichen. Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung Front zu machen.

Wenn es das Ziel war, den Erweiterten Kunstbegriff von Beuys zu neutralisieren und als affirmative Fußnote in das neoliberale Globalisierungsnarrativ zu integrieren, dann ist die Düsseldorfer Ausstellung »Jeder Mensch ist ein Künstler. Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys« sicher ein voller Erfolg. Die Ausstellung bedient sich einer diskursiven Strategie, die im Neoliberalismus seit Jahren erfolgreich angewendet wird, um sozioökonomische Veränderungen zu verhindern. Im Begleitheft zur Ausstellung lesen wir in der Einführung:

»Als handelnde, sprechende und sich bewegende Figur untersuchte Beuys insbesondere in seinen Aktionen die zentrale Idee seines erweiterten Kunstbegriffs: »Jeder Mensch ist ein Künstler.« Daraus ableitend entwickelte Beuys seine revolutionäre Theorie der Sozialen Plastik, der ein Prozess der Selbsttransformation zugrunde liegt: Jeder Mensch müsse sich als Künstler begreifen, sein Leben nach den Prinzipien der Plastik gestalten, um die Gesellschaft von Grund auf zu erneuern.«1

Der Begriff der Selbsttransformation erinnert fatal an den neoliberalen Trendbegriff der Selbstoptimierung, also der Anpassung des atomisierten Individuums an die Anforderungen der Kaptialrendite. Die Soziale Plastik wird uns hier als ein persönlicher Optimierungsprozess ans Herz gelegt, mit dem sich die Gesellschaft erneuern ließe. Das ähnelt dem Appell an die Verbraucher, durch ihre angebliche Marktmacht den Skandal der Tiermast, den Raubbau an den Urwäldern oder die Ausbeutung von Kindern in der Dritten Welt zu verhindern. Die Individualisierung sozialer Probleme ist die stärkste Waffe der Herrschenden, um die revolutionäre Wut der Beherrschten ins Leere laufen zu lassen und sich gleichzeitig an die Spitze der Bewegung zu setzen. Ein Fototermin mit Greta Thunberg oder Malala Yousafzai entbindet jeden Politiker von der Pflicht, in seinem Amt entschieden gegen die Klimakatastrophe oder Femizide vorzugehen und stärkt gleichzeitig seine Credibility.

Was soziale Plastik sein sollte, wird zu einem persönlichen Statement, das unverbindlicher nicht sein könnte. Und so stellen die Ausstellungsmacher das Video, das Beuys als Boxer im Kampf für direkt Demokratie durch Volksabstimmung zeigt, neben das Knaur Taschenbuch »Ich bin Malala«. Mit dreimalklugem Zeigefinger weisen sie auf die Fallhöhe hin, die beide voneinander trennt. Der eine warf seinen Körper in einen Schaukampf, die andere überlebte ihre Sehnsucht nach Bildung nur ganz knapp und schwer gezeichnet. Durch diesen absurden Vergleich, der nicht zugunsten des verehrten Jubilars ausgeht, entschärfen die Ausstellungsmacher den politischen Sprengstoff, der im Gedanken der Volksabstimmung steckt. Sie übergehen nonchalant seine ungebrochene Aktualität, anstatt ein Statement des Vereins »Mehr Demokratie« neben dem Beuys’schen Schaukampf zu inszenieren. Immerhin hat Joseph Beuys einen Vorläufer dieses Vereins gegründet.2 Das hätte immerhin den satten Herrschaftsanspruch unserer politischen Parteien in Frage gestellt, die unsere Republik unter sich aufgeteilt haben. Die fernen Taliban wegen ihrer Grausamkeiten anzuklagen, ist dagegen ebenso bequem und politisch korrekt wie wirkungslos und damit reaktionär.

In eine ebenso trostlose, neoliberale Beliebigkeit mündet die Gegenüberstellung der Aktion »I like America and America likes Me« von 1974 mit dem Wirken von Greta Thunberg. In der Einführung zu dieser ›11. Übung‹ hebt der Text auf die 50er Jahre ab, in denen Beuys in eine schwere Depression fiel, aus die ihm die Figur des sibirischen Schamanen herausgeholfen habe. In der Folge habe er in den Skizzenbüchern »Projekt Westmensch« die ersten Ideen seiner sozialen Utopie entwickelt und dann in der Aktion mit dem Coyoten selbst die Rolle des Schamanen übernommen, in der er gleichzeitig als Provokateur und Heiler der Gesellschaft gewirkt habe. Das verbinde ihn mit Greta Thunberg, die nicht nur wie Beuys an einer Depression gelitten habe, sondern überdies auch noch das Asperger-Syndrom habe und die, wie Beuys, zu einer Symbolfigur geworden sei, die gleichzeitig verehrt und beschimpft würde.

Und damit auch niemand auf die Idee kommt, dass es fundamentaler sozio-ökonomischer Veränderungen bedarf, um die Klimakatastrophe abzuwenden, betont der Text zu dem Film »I am Greta«, dass die schwedische Klimaaktivistin selbst nicht fliegt, vegan isst und nur das Notwendigste kauft. Da ist sie wieder die neoliberale Argumentationsfigur von der Macht der Verbraucher, die alle Schuld am Untergang von den Schultern des Kapitals auf die aller Menschen abwälzt. Unsere naiven und konsumorientierten Träume von einem guten Leben sind, so die Botschaft der neoliberalen Apologeten, am Untergang Schuld. So wollen uns die Herrschenden nach der Hoffnung auf Veränderung auch noch unsere Träume austreiben. Was uns bleibt ist die affirmative Hinwendung zu einer Heilfsfigur.

Übung 12 verbindet den kryptische Fluxus Gesang »Der Chef the chief« von Beuys aus dem Jahr 1964 mit dem ebenso kryptischen Film »Between the Waves« von Tekal Shah von 2012 und stellt das Ganze unter den Begriff ›Evolution‹. Der Begriff, der ein ebenso kryptisches, weil von der Wissenschaft noch nicht vollständig verstandenes Geschehen beschreibt, dient jedoch nicht dazu, Perspektiven zu öffnen, sondern zu verschließen. So heißt es in der Einführung im Begleitheft: »Bereits Charles Darwin erkannte, dass die Natur nicht die Stärksten begünstigst, sondern die, die gut zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren«3. Diese Interpretation von Darwin legt uns damit ein Verhalten nahe, wie es der neoliberale Kapitalismus von seinen abhängig Beschäftigten, die sich ständig selbst optimieren und möglichst effizient miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten sollen, erwartet: Selbstoptimierung als survival of the fittest.

Anstatt den Begriff der Evolution, den Beuys gerne benutzte, kritisch zu hinterfragen, immerhin trieb der Sozialdarwinismus giftige Blüten, wird der Rätselcharakter von Beuys’ Aktion komplett geleugnet: »In der Aktion DER CHEF the CHIEF erschien Beuys als ein werdendes Wesen, das den Austausch mit seiner Umwelt sucht.«4 Diese Plattitüde ist jedoch steigerungsfähig, denn Tejal Shah erzähle, so das Begleitheft, in ihrem Film »Between the Waves«, eine Evolutionsgeschichte, »in der Mischwesen miteinander durch die Welt treiben, sich berühren und lieben«.5 Wie passend, dass der Hintergrund ihrer Arbeit »queere und feministische Lebensentwürfe sowie spirituelle Traditionen des Buddhismus«6 sind, die wie der Schamanismus von Beuys dem globalisierten Kapitalismus nicht gefährlich werden können.

Ausgehend von dem Beuys’schen Diktum, dass jeder Mensch ein Künstler sei, entwerfen die Ausstellungsmacher eine Vorstellung von der sozialen Plastik, in der Individuen wie Greta Thunberg, Malala Yousafzai, Thich Nhat Han, Martin Luther King oder Angela Davis zu Projektionsflächen eines guten Gewissens in einer schlechten Welt werden. Die Leuchtkraft dieser Heilsfiguren lassen eine Verbesserung der Welt durch uns alle nahezu obsolet erscheinen. Wir können uns an ihrem Beispiel wärmen und sind entschuldigt, kann doch nicht jeder ein solches entrücktes Vorbild sein.

Die Kraft der sozialen Plastik als sozialer Plastik, die Strukturen bildet, Organisation ermöglicht und damit soziale Handlungsmacht generiert, lässt die Ausstellung völlig außen vor. Sie individualisiert soziale Prozesse und wendet damit die Idee der sozialen Plastik in ihr Gegenteil. Damit integriert sie sich nahtlos in eine Zeit, in der die Grünen, ehemals soziale Plastik und Protestpartei, sich anschicken, mit Laschets CDU die nächste Bundesregierung zu bilden.


  1. Begleitheft zur Ausstellung Jeder Mensch ist ein Künstler. Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys 27. März – 15. August 2021, K20 Grabbeplatz, Düsseldorf, S. 2 (Hervorhebung durch den Verfasser) ↩︎

  2. Beuys hat am 19. Juni 1971 gemeinsam mit Johannes Stüttgen und Karl Fastabend in Düsseldorf die »Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung« gegründet. ↩︎

  3. Begleitheft S. 26 ↩︎

  4. ebd. ↩︎

  5. ebd. ↩︎

  6. ebd. S. 27 ↩︎