ILOVEYOU Ich hab’s geöffnet!
Gestern bekam ich eine E-Mail mit der vielversprechenden Betreffzeile ILOVEYOU. Das ist zunächst nichts Außergewöhnliches, ich bekomme häufiger E-Mails mit kuriosen Betreffzeilen. Was mich aber verwunderte, war die Tatsache, dass der Absender ein Bekannter war, mit dem ich bis gestern nur einen äußerst unpersönlichen, rein geschäftlichen E-Mail-Verkehr pflegte. Aber bei einigen Menschen kommt es ja ganz plötzlich und ganz gewaltig zu den seltsamsten Coming-outs. Als ich dann neugierig seine E-Mail öffnete, sah ich, dass sie einen Anhang besaß. Und dann tat ich, was gestern Millionen andere auch taten, ich öffnete ihn – und las den Quellcode eines kleines Skripts, das mit den Worten begann:
rem barok -loveletter(vbe) <i hate go to school>
Dass dieses kleine Skript das halbe Internet lahmlegte und auf den Festplatten zahlreicher Computer Verwirrung stiftete, erfuhr ich dann erst aus den Nachrichten.
Und da musste ich gleich an den Apfelbauer denken, der vor einigen Jahren seine gesamte Apfelplantage gerodet hat, weil alle seine Apfelbäume von einem normalerweise harmlosen Virus befallen waren. Wieso war dieser Virus plötzlich so aggressiv? Die Lösung war einfach. Seine Apfelbäume waren eine moderne Züchtung, genetisch weitestgehend identisch, denn nur so schien es dem Bauern möglich, Millionen Äpfel in der von der EU exakt vorgeschriebenen Größe und Farbe produzieren zu können. Hätte der Bauer genetisch verschiedene Bäume gepflanzt, so hätte er sich an seinem letzten Apfelbaum nicht erhängen müssen.
set wscr=CreateObject(“WScript.Shell”)
Der ILOVEYOU-Virus befällt natürlich nur Microsoft-Computer. Der beste Schutz gegen Computerviren ist immer noch der Befehl: »format c:«, mit dem man Windows auf seiner Festplatte löschen kann, um anschließend ein funktionstüchtiges Betriebssystem zu installieren. Wenn nur die Hälfte aller Computer auf dieser Welt nicht mit Windows laufen würden, wäre ILOVEYOU nie in die Schlagzeilen der Presse vorgedrungen. Er hätte sich schlicht und einfach erst gar nicht so schnell ausbreiten können, weil die Hälfte der Computer immun gegen ihn wären:
fso.DeleteFile(f1.path)
elseif(ext="jpg") or (ext="jpeg") then
set ap=fso.OpenTextFile(f1.path,2,true)
ap.write vbscopy
ap.close
Der Kommentator der von mir überhaupt nicht geschätzten WELT hatte gestern ausnahmsweise einen hellen Tag, denn er schrieb über die Ursache der Virusepidemie.
»Eine Ursache ist rasch zu benennen. Das Weltmonopol der Firma Microsoft für Betriebssysteme macht das Internet extrem anfällig für Attacken, weil ein einziges Virusprogramm über 90 Prozent aller weltweit angeschlossenen Rechner erreicht. Welch Paradoxon: Durch den Verzicht auf ein Steuerzentrum sollte das ursprünglich militärische Kommunikationsnetz bei einem Atomschlag unverwundbar sein. Nun pfropft das Betriebssystem Windows dem Netz ein ebensolches Zentrum auf. Bill Gates hat das Internet ad absurdum geführt.«:
if (s="mirc32.exe") or (s="mlink32.exe") or (s="mirc.ini") or
(s="script.ini") or (s="mirc.hlp") then
set scriptini=fso.CreateTextFile(folderspec\&"\script.ini")
scriptini.WriteLine "[script]"
scriptini.WriteLine ";mIRC Script"
Otto Schily, ganz Herr der Lage, berief natürlich sofort die Internet-Taskforce ein. Wahrscheinlich saß man energisch grübelnd und fachmännisch lamentierend im Lagezentrum herum und verfolgte mit offenem Mund die Ausbreitung von ILOVEYOU auf einer überdimensionalen Wandtafel. Anschließend ist man dann vor die Presse getreten und hat mit besorgniserregender Miene Plattitüden wie »Das ist kein Dummerjungenstreich mehr« in die Mikros gelallt. Dabei hat die »Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik« schon im Februar ein Mittel gegen solche Virusangriffe gefunden. In einem Periodikum der KBSt, dem KBSt-Brief, der auch im Internet veröffentlicht wird, hatten die Experten den Einsatz von Open Source Software, wie z. B. Linux, in Behörden empfohlen. Otto Schilys Innenministerium, – war da nicht mal eine gemeinsame Initiative mit Bill Gates? – hat die KBSt angewiesen, diesen Brief vom Server zu löschen, ein bisher einmaliger Vorgang von offensichtlich wirtschaftlich motivierter Zensur. Auf Druck von Bürgern wurde die Zensuranweisung jedoch wieder zurückgenommen.
Behörden sind träge. Es ist also anzunehmen, dass in unseren Rathäusern frühestens in einer halben Ewigkeit Linux zum Einsatz kommen wird. Unternehmen aber wie der Otto Versand, der gestern auch lahm gelegt worden ist, werden sich die Sache vielleicht etwas früher durch den Kopf gehen lassen. Aber wie sagte doch Fontane so treffend: »Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.« So langsam kommt Windows aber aus der Mode, immerhin ist Windows-Nutzer schon die ultimative Steigerung von Warmduscher und Weichei. Und wenn Windows erst einmal aus der Mode kommt, dann brauchen wir ganz schnell, ganz viele Inder, die uns Linux installieren. – Solingen 5. Mai 2000