Das denkende Kondom

Jeder Mann, der unproduktive Sexualmethoden an den Tag bzw. die Nacht legt, sollte sich gut überlegen, ob er gebrauchte Pariser in Zukunft weiterhin achtlos in den Mülleimer wirft. Denn bei der klebrigen Flüssigkeit, die bisher zumeist keines Blickes gewürdigt wurde, könnte es sich um ein gigantisches Vermögen handeln, sofern man sich die in ihr enthaltenen Gene rechtzeitig hat patentieren lassen. Besitzt dagegen schon ein anderer das Patent darauf, wird jede Ejakulation ein teurer Spaß, verletzt man mit dem Stoß seiner Lenden doch das Heiligste, was der moderne Kapitalismus zurzeit zu bieten hat: das internationale Patentrecht.

Wer dagegen schon als Heranwachsender alle Tempotücher, Kondome und Bettbezüge sorgfältig aufbewahrt hat, und für jede seiner verkrusteten Gensequenzen ein Patent besitzt, beweist ökonomische Voraussicht und braucht sich um seine Rente nicht zu kümmern. Denn jede Neuemmission der eigenen Zeugungswerkzeuge spült Millionen auf das Bankkonto, sofern und das ist der Haken an der Sache sofern ein Unternehmen Teile der patentierten DNA z. B. für die Entwicklung gentechnisch veränderter Lebensmittel benutzen will.

In Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ist bekanntlich auch Gott zu Hause, und zwar in Gestalt von Unternehmen der Biotechnologie. Eine dieser göttlichen Firmen hat jetzt eine Lachssorte entwickelt, die zehnmal so schnell wächst, wie der Lachs, der sich seit Jahrmillionen in unseren Gewässern tummelt. Wenn also ihre LebensabschnittsbegleiterIn demnächst auf einem Empfang beim Biss in ein Lachsschnittchen anmerkt: »Den Geschmack kenne ich doch!« dann fragen Sie lieber nicht weiter nach. Greifen Sie lieber zu einer Portion Carpacchio, auch auf die Gefahr hin, dabei an britisches Rindfleisch zu geraten.

Natürlich sind nicht alle von der Entwicklung der Gentechnik und der Dummheit der Patentämter restlos begeistert. So kommt u.a. Kritik von seiten der Gleichstellungsbeauftragten. Denn Frauen würden es in der New Economy schwer haben, weil sie nicht so leicht an ihre Gene herankommen, wie ein Mann. Immerhin müsse man die Eizelle bei der monatlichen Reinigung erst mühsam wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Hier dürfte sich für Tampon-Hersteller, die diesen Vorgang appetitlicher machen, eine lukrative Marktlücke auftun. Was die Gleichstellungsbeauftragten bei ihrer Kritik jedoch übersehen, ist die Tatsache, dass Frauen viel leichter an das Genmaterial von Männern gelangen können, als umgekehrt. Somit sind hier eindeutig die Männer die Dummen. Die Schlüsselindustrie der Zukunft liegt in der Hand entschlossener Frauen. Denn was heute noch Prostitution genannt wird, heißt morgen schon erfolgreicher Start-up und geht mit gigantischen Zeichnungsgewinnen an die Börse.

Jeremy Rifkin, ein weiterer Kritiker der Genpatentierung, sieht sogar neue Kriege am Horizont heraufziehen. Er warnt davor, dass Konzerne in Zukunft Jagd auf Besitzer seltener Gene machen könnten. Zudem gäbe es die meisten seltenen Gene auf der Südhalbkugel. Eine ganze Armada von Biopiraten sei schon ausgeschwärmt, um die Gene seltener Pflanzen in den Urwäldern in Besitz zu nehmen und zurückgezogenen Eingeborenenstämmen für eine Hand bunter Glasperlen ein Reagenzglas mit einem kalten Bauer abzukaufen, in der Hoffnung, darin den Stein der Weisen gegen Krebs oder eine andere Geißel der Menschheit zu finden.

Wie dem auch sei, ich investiere nun in die Zulieferindustrie, da hier das trotz allem bestehende Risiko, auf wertlosen Proteinresten sitzen zu bleiben, nicht besteht. Ein Bill Gates der Gentechnologie könnte z. B. derjenige werden, der einen intelligenten Pariser, also ein denkendes Kondom entwickelt. Dieses Kondom ist in der Lage, die genetische Zusammensetzung von Sperma automatisch zu analysieren und interessante Gensequenzen sofort online beim zuständigen Patentamt registrieren zu lassen. Das System arbeitet dabei so flott, dass die horizontale Unternehmerin auf einem Display den Erfolg ihrer Bemühungen schon kontrollieren kann, bevor der Freier seinen letzten Stoßseufzer gemacht hat.

Den männlichen Lesern des Sudelbuchs kann ich also nur den Rat geben: Erst anmelden, dann reinstecken! – Solingen 12. April 2000