Zuchtmeister Sloterdijk im Menschenpark

Gesudelte Vorbemerkung

Solange die Philosophen in ihren Elfenbeintürmen bleiben und sich dort selbstgenügsam am Sein abarbeiten, ist mir ziemlich egal, was sie schreiben. Wenn sie mir aber – man entschuldige bitte die drastische Ausdrucksweise – buchstäblich an die Eier wollen, hört für mich der Spaß auf.

Showdown im Philosophenpark

Was wollte uns Sloterdijk in seinem Elmauer Vortrag eigentlich mitteilen? Seine Reaktion auf die öffentliche Kritik zeigt bisher bloß, dass er nicht gewillt ist, uns seine Vorstellungen über die ›Regeln im Menschenpark‹ genauer zu erläutern. Vielmehr fährt er das ganze Geschützarsenal der Rhetorik auf, um mindestens einen Habermas vom Katheder zu stoßen und vom Weltengerüst seiner Philosophie herab das Ende einer ganzen Epoche, das Hinscheiden der ›mürrischen Tante‹ namens Kritische Theorie zu verkünden. Die fast schon manische Besessenheit, mit der Sloterdijk versucht, Habermas als hinterlistigen Strippenzieher in eine Debatte zu zerren, die Sloterdijk gleichzeitig als esoterischer Oberguru und Meister der Meta-Diskurse aus einem unangreifbaren Jenseits ironisierend zu beherrschen trachtet, bloß um von den Inhalten seines Elmauer Vortrages abzulenken, ist schon höchst interessant. Als Philosoph kann er eben nicht einfach offen eingestehen, dass er sich in seinen scheinbar auch von Bhagwan inspirierten Gedankengärten hoffnungslos verirrt hat.

Interessant an Sloterdijks zweiter Front ist, dass er, der sich auf Plato beruft, dessen ›Staat‹ schon von Wieland, einem dichtenden Kommunikationstheoretiker der Aufklärung, in seinem Briefroman ›Aristipp‹ als totalitäres Schreckensbild entlarvt wurde, nun seinerseits den Kommunikationsphilosophen Habermas angreift, der zwar weniger schön schreibt als Wieland, aber in der gleichen kommunikationsorientierten Traditionslinie steht.

Und ewig lockt das Sein

Wenn wir auf die von Platos Staatsidee beeinflussten Jahrhunderte zurückblicken, so müssen wir feststellen, dass alle Theorien vom ›Neuen Menschen‹ sich samt und sonders als Katastrophen verwirklichten. Natürlich begann der Übermenschen-Wahnsinn nicht erst bei Plato, aber er war der erste abendländische Philosoph, dessen Theorien handgreifliche Folgen hatten.

Alexander der Große schuf vom Platonismus beeinflusst zwar keinen Philosophenstaat, aber er eroberte ein universales Weltreich zusammen, dessen theoretische Radikalität, die Ökumene, seine Existenz um viele Jahrhunderte überdauerte. Der Anspruch auf staatliche Allgemeingültigkeit, Idealität und Weltgeltung hat seitdem die Bühne der Geschichte nie wieder verlassen. Auch Sloterdijk scheint der Faszination des Totalitären erlegen zu sein, was in seiner Heidegger- und Plato-Paraphrase anklingt.

»Das heideggersche an sich haltende Wohnen im Haus der Sprache ist bestimmt als ein abwartendes Lauschen auf das, was vom Sein selbst her zu sagen aufgegeben werden wird.«

Da ist es wieder, das enigmatische Absolute, dem man hörig zu sein hat, um als platonischer Weiser der »würdigste Hüter und Züchter« zu sein. Und diese Seinshörigkeit macht die Philosophen zu idealen Viehzüchtern auf der Menschenfarm, weil bei ihnen »die Erinnerung an die himmlischen Schauungen des Besten am lebhaftesten« sind.

Was Sloterdijk von den Obstbauern lernen könnte

Von Genetik, von Selektion und erst recht von Züchtung versteht Sloterdijk nicht viel, obwohl schon Nietzsche ihn auf den richtigen Gedanken hätte bringen sollen. Züchtung führt geradewegs ins Treibhaus. Züchtung ist Domestikation und zwar prinzipiell immer und überall. Wie sollte es auch anders sein? Zuchterfolge sind nur dann möglich, wenn die Zucht unter dem Ziel bestimmter Zwecke erfolgt: mehr Fleisch, weniger Fett; mehr Eier pro Huhn; runde, makellose Äpfel nach EU-Norm. All diese Zwecke sind aber notwendigerweise sämtlich kurzfristiger Natur, denn sie stellen sich nur unter gleichbleibenden äußeren Bedingungen ein. Und die Umstände ändern sich bekanntlich. Ein makelloser Apfel, der zumeist nur durch Klonen, dass heißt durch Eliminierung genetischer Vielfalt, in millionenfacher Ausbeute zu erzielen ist, stillt heute zwar in idealer Weise den Vitaminbedarf der Obstliebhaber. Aber schon morgen können die geklonten Obstbäume das Opfer eines ansonsten völlig harmlosen Pilzes werden. Sämtliche Äpfel, die wir nach einer solchen Katastrophe noch essen werden, verdanken wir dann den Biobauern, die Äpfel in zahllosen verschiedenen Formen und Farben anbauten, eben nicht züchteten und mithin die genetische Vielfalt, die allein das Überleben der Art über längere Zeiträume hinweg sicherstellt, bewahrten.

Da selbst kleinste Veränderungen am Erbgut von Nutzpflanzen unüberschaubare ökologische Schäden verursachen, wie man beim Genmais zurzeit feststellen kann, dürfte es für den Menschenpark und die Anthropotechnik (allein dieses Unwort sollte uns alle hellwach machen) nur eine Regel geben: Finger weg!

Das menschliche Erbgut, dessen genetische Vielfalt, wie neuere Forschungen zeigen, sowieso schon nicht sehr groß ist, dürfte seine heutige Zusammensetzung durch mehrere aufeinander folgende ökologische Katastrophen, durch die Eiszeiten, erhalten haben. Der heutige Mensch, ein Überlebender der harten Auslese während der Eiszeiten hat bewiesen, dass er in der Lage ist, mit ganz unterschiedlichen Umweltbedingungen zurecht zu kommen. Auch gegen Krankheiten ist der Mensch als Gattung gut gewappnet. So sollen z. B. ein Prozent der Menschheit, also immerhin rund 60 Millionen Menschen, gegen Aids vollkommen immun sein. Selbst wenn diese Seuche also völlig außer Kontrolle geriete – die Menschheit würde es überleben. Ob aber Sloterdijks neuer durchhumanisierter Mensch eine solche Epidemie überleben würde, ist fraglich, denn vielleicht liegt das Sloterdijksche Verwilderungsgen und das Anti-Aids-Gen auf ein und demselben DNS-Strang.

Sloterdijk aber sieht den Menschen schon freudig zu Werke gehen:

»Es ist die Signatur des technischen und anthropotechnischen Zeitalters, dass Menschen mehr und mehr auf die aktive oder subjektive Seite der Selektion geraten.«

Diese Behauptung ist, wenn überhaupt, dann nur unter dem Gesichtspunkt kurzfristiger Züchtungserfolge richtig. Natürlich ist der Mensch in der Lage, durch vorgeburtliche Diagnostik und angewandte Fortpflanzungstechniken, Nachkommen zu züchten, die bestimmte Merkmale aufweisen, wie z. B. blond und blauäugig, oder nicht aufweisen, wie z. B. eine körperliche oder geistige Behinderung. Eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit eines solchen Tuns anzustoßen, wäre ein Verdienst. Dies aber wollte Sloterdijk offensichtlich nicht.

Die langfristigen Folgen einer Sloterdijkschen Selektion sind jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit katastrophal, allein schon durch die Reduzierung der genetischen Vielfalt im menschlichen Genpool. Sobald sich ein Virus findet, der diese ›Übermenschen‹, wie die Fliegen dahinrafft, ist es vorbei mit der ›aktiven oder subjektiven Seite der Selektion‹.

Worüber spricht er also?

Sloterdijk weiß dies alles natürlich, jedes Kind lernt heutzutage die Grundbegriffe der Evolutionsgenetik im Biologieunterricht. Und selbst ein Philosoph, der gewillt ist, Zeitung zu lesen, dürfte über den aktuellen Forschungsstand halbwegs gut informiert sein. Worüber redet Sloterdijk also?

Sloterdijk liebt, wie er sagt, das gefährliche Denken. Die einzelnen Sequenzen seines Vortrags, seine Heideggerinterpretation, sein Liebäugeln mit Nietzsche, aber auch seine verworrene Rede von den Anthropotechniken: das ist alles eher banal. Gefährlich werden Sloterdijks Ausführungen allerdings, weil er vage und verworrene Absolutheitsansprüche mit der impliziten Aufforderung verbindet, auf genmanipulatorischem Wege einen neuen, diesen Absolutheitsansprüchen gerecht werdenden Menschen zu schaffen. Damit zerrt er die Philosophie aus ihrem Elfenbeinturm heraus und sperrt sie ins Genlabor. Damit aber wären die Schrecken des nur erzieherisch tätigen Totalitarismus platonischer bis stalinistischer Prägung bloß ein lauer Vorgeschmack auf kommende Gräuel. – Solingen 10. September 1999