Kassenpatientliche Gesundheitsprävention

Gestern war ich beim Augenarzt. Nein, nein, nicht wegen der Sonnenfinsternis, die passierte ja, wie alle wichtigen Ereignisse, hinter geschlossenen Türen. Aber ich dachte mir, der Tag nach der Sonnenfinsternis wäre eine gute Gelegenheit, um beim Augenarzt noch schnell ein paar Ampullen Augentropfen abzugreifen, bevor die kassenärztliche Vereinigung ihrem Namen alle Ehre macht und uns gesetzlich Versicherte wieder wie Kassenpatienten behandelt.

Die letzten Tage habe ich nämlich mit dem präventiven Besuch von Ärzten verbracht, denn bevor die ihren Verschreibungsblock zuklappen und sagen, »das war’s für dieses Jahr« möchte ich doch noch die notwendigsten Medikamente im Haus haben.

Das Regenwetter der letzten Tage war geradezu ideal, um mit sämtlichen Erkältungssymptomen beim Hausarzt vorbeizuschauen. Der verschrieb mir natürlich sogleich die gesamte Palette gegen Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Stockschnupfen, grippale Infekte und Heiserkeit. Die nächste Grippewelle kann kommen. Ich bin gerüstet!

Danach ging es zum Internisten. Ihm klagte ich, dass ich nach dem Fahrradfahren vom Tal zu uns hinauf auf den Berg und einer im lockeren Laufschritt genommenen Treppe schon im dritten Stock fürchterlich außer Atem gerate, einen rasenden Puls bekomme und Sterne vor den Augen tanzen sehe. Er machte natürlich, sicher ist sicher, sofort ein umfangreiches Belastungs-EKG und verschrieb mir dann kreislauffördernde und herzstärkende Mittel, die mich sicher über den Winter bringen werden.

Nach dem Internisten war der Zahnarzt an der Reihe, bei dem ich zwar erst vor drei Wochen war, der aber irgendwie das entzündete Zahnfleisch übersehen haben musste, welches man am besten mit adstringierenden Lösungen behandelt. Dieses Versäumnis holte er natürlich sofort nach und verschrieb mir gleich eine Klinikpackung vom Besten.

Heuschnupfen ist im bevorstehenden Winter zwar kaum zu erwarten, aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen. Also wandte ich mich vertrauensvoll an meinen Allergologen und schilderte ihm die hässlichsten Symptome: eine unerträglich juckende und laufende Nase, brennende, rote und triefende Augen und asthmatische Atemnot beim Lesen des Wortes ›Hausstaubmilbe‹. Sorgfältig, wie Allergologen nun einmal sind, machte er sogleich einen Allergietest und nannte mir die Worte: Bäume, Gräser, Katzenhaare, Pilze und Milcheiweiß. Natürlich reagierte ich auf alles allergisch, so dass eine durchgehende und umfassende Medikamentierung rund um die Uhr und quer durch alle Jahreszeiten hindurch unvermeidlich erschien. Um auch nicht die geringste Schädigung der Lunge zu übersehen, ließ er sie röntgen. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte, trotzdem konnte ich ihn aber nicht davon überzeugen, mir auf der Stelle ein Medikament gegen Tuberkulose oder chronische Bronchitis zu verschreiben. Stattdessen sollte ich meinen Auswurf in ein Röhrchen spucken: für’s Labor. Da also werden die Millionen verpulvert und uns Patienten wird der Hustensaft verweigert.

Ein Pickel auf der Nase nach einer durchzechten Nacht ermöglichte mir den Besuch des Hautarztes, schließlich kommen meine Kinder schon in sechs bis sieben Jahren in die vorpubertäre Phase, da kann man die verschiedenen Aknemittelchen immer gut gebrauchen. Und wegen der vom Trinken roten Nase verschrieb mir der stets freundliche Hautarzt auch noch eine spezielle Pflegelotion gegen Sonnenbrand.

Heute ging ich dann mit einem Stapel Rezepte wieder einmal zu meinem Apotheker, der mich mit Handschlag und einer Tasse Kaffee begrüßte, die ich natürlich, mit der Hand bedeutend aufs Herz weisend, ablehnen musste. Das war ein weiser Entschluss, denn die gepfefferte Zuzahlung haute mich glatt um. Und diese Ohnmacht hatte ihr Gutes. Wegen der Platzwunde am Kopf wurde ich noch schnell gegen Tetanus geimpft und erhielt ein kostenloses Muster Wundsalbe.

Nun muss ich aber aufs Klo, um eine Stuhlprobe für den Arzt fertigzumachen. Denn ich bemerkte zu meinem Schrecken, dass sämtliche Medikamente gegen Durchfall, Darminfektionen, Blähungen und Sodbrennen abgelaufen sind. Wie gut, dass mein Apotheker die alten Medikamente kostenlos entsorgt.

Nur noch zwei oder drei Arztbesuche und ich bin auf alles vorbereitet. Sorge bereitet mir nur der Frauenarzt. Meine Frau will partout erst im November wieder hingehen. Und dann kann es zu spät sein. Ob ich mal versuchen soll, noch schnell einen Termin zu kriegen? – Solingen 13. August 1999