Jan Ulrich über Jan Ullrich

Jetzt ist es passiert. Eine zweite deutsche Tragödie kündigt sich an. Jan Ullrich hat das gelbe Trikot in den Alpen verloren. Die Ticker bringen der Tragödie ersten Teil.

Jan Ullrich hat auf der ›Königs-Etappe‹ der 85. Tour de France gegen ›Bergkönig‹ Marco Pantani eine vernichtende Niederlage hinnehmen müssen und damit nach sechs Tagen im Gelben Trikot auch die Führung in der Gesamtwertung an den Italiener verloren. Endgültig besiegelt war Ullrichs Schicksal bei der ›Fahrt durch die Hölle‹ im Dauerregen und Nebel nach einer Reifenpanne rund 15 Kilometer vor dem Ziel in Les Deux Alpes. Am Ende fehlte Ullrich die Kraft, um noch einmal herankommen zu können. Pantani siegte ungefährdet mit 1:53 Minuten Vorsprung auf seinen Landsmann Rodolfo Massi und 1:59 Minuten auf den Spanier Fernando Escartin. Der Merdinger Tour-Sieger von 1997 verlor auf der 15. Etappe über 189 km mit Start in Grenoble 8:57 Minuten auf Pantani, der dank seiner Kletterkünste den zweiten Tagessieg in diesem Jahr perfekt machte und erstmals in seiner Karriere das Gelbe Trikot übernahm. Ullrich fiel mit nunmehr 5:56 Minuten Rückstand auf den neuen Spitzenreiter auf Rang vier der Gesamtwertung zurück und muss nun ernsthaft um die Wiederholung seines Vorjahrestriumphes zittern.

Es ist einfach nicht unser Jahr. Erst fliegt Berti samt Nationalmannschaft aus der WM, dann bricht Jan Ullrich auf der Königs-Etappe ein! Wer weiß, welche Katastrophen noch auf uns warten. Bei diesen apokalyptischen Menetekeln müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen: einem Wahlsieg der CDU im Herbst.

Zu Jan Ullrich habe ich, wie man sich denken kann, ein besonderes Verhältnis. Als der flotte Flitzer im letzten Jahr die Tour de France gewann, waren die Telekom und ihre Mitarbeiter derart von diesem Erfolg berauscht, dass sie mir drei Monate lang Telefonrechnungen unter seinem Namen zuschickten. Dies erstaunte mich einigermaßen, da ich davon überzeugt war, dass er kostenlos telefonieren könnte. Aber so kann man sich irren.

Nach einigen kostenfreien 0130er-Anrufen bei verschiedenen Service-Centern erreichte ich schließlich die Rückkehr meines Nachnamens in das Adressfeld meiner Telefonrechnungen sowie die Streichung des überflüssigen ›l‹. Die Rechnung schnellte darauf sprunghaft in die Höhe. Das ist nämlich einer dieser Mehrwertdienste, von der alle Welt zur Zeit spricht. Man ist einfach mehr wert, wenn man im Adressfeld mit vollem Namen genannt wird, und muss deshalb mehr zahlen. Lange Zeit kämpfte ich um eine Reduzierung meiner Telefonrechnung. Ich habe es mit allen Tricks versucht. Mit Mondschein, mit Cityplus und 10plus, aber wie der Name ›plus‹ schon sagt, es wurde nur immer mehr. Dann wählte ich mir die Finger wund an den Vorvorwahlen von Arcor und Mobilcom: ohne Erfolg. Schließlich war ich zum Äußersten bereit und erlaubte der Telekom in dem Adressfeld meiner Rechnung nur noch mein Namenskürzel ›juh‹ einzutragen, doch es nutzte alles nichts. Die Zahlen blieben gleich.

Verständlicherweise bin ich im Moment hochgradig nervös, denn die Tour de France ist in vollem Gang und jedes Ereignis kann Auswirkungen auf meine Telefonrechnung haben. Was passiert, wenn Jan Ullrich die Tour nicht gewinnt? Wird die Telekom ihm die Sponsorengelder und mir den Telefonanschluss sperren? Und was, wenn im Team Telekom auch dieses Radler-Viagra gefunden wird? Muss ich dann etwa auch noch die Handyrechnung der Fußballnationalmannschaft bezahlen, die immer noch in Pisa herumkurvt und debil in Pariser Fremdenführern blättert? – Noch sechs Etappen, dann wissen wir mehr. – Solingen den 27. Juli 1998