Die Demokratie ist eigentlich viel zu schade fürs Volk

In der Demokratie entscheidet die Mehrheit. Für den Einsichtigen ist hier Schluss, denn die Mehrheit ist bekanntlich strunzdumm. Der Aufwand, den die 1 % treiben müssen, um aus dieser Dummheit Kapital zu schlagen, ist verschwindend gering. Im Grunde genügen ein paar Boulevardblättchen, um zu gewährleisten, dass das Volk bloß Lakaien der 1 % wählt.

Wolfgang J. Koschnick seziert seit Ende letzten Jahres in einer Artikelserie in Telepolis den Korpus unserer Demokratie.1 Was er dabei zutage fördert, ist abstoßend. Da ist eigentlich nur noch Verwesung. Ein Pferd hätte man längst von seinen Qualen erlöst. Die Demokratie ist wie die Sommerzeit – sie erreicht das Gegenteil ihres Zwecks, jeder schimpft auf sie, aber wir unterziehen uns regelmäßig ihrem Ritual.

Die Mehrheit des Volks wählt sturzdumm immer wieder Parteien, die seit Jahrzehnten nichts anderes tun, als das Volk zur Ader zu lassen. Nehmen wir die so genannte Mittelschicht, die ihren Verdienst nicht wie die 1 % und ihre Parvenüs in die Schweiz bringen kann, weil ihre Lohn- und Einkommensteuer gleich einkassiert wird. Sie tragen unser Gemeinwohl, sie bezahlen die Zeche. Aber anstatt Parteien zu wählen, die auch einmal die 1 % zur Kasse bitten würden, wählt die Mittelschicht pfannendumm und stocksteif nichts anderes als CDU, FDP, SPD oder die Grünen – also Parteien, die nachweislich und mit System die Mittelschicht seit Jahren ausdünnen. Jugendliche, die sich die Unterarme aufschlitzen, scheinen mir da doch die rationaleren Menschen zu sein.

Mir scheint, dass wir als Wähler zu unseren Politikern das gleiche Verhältnis haben wie die Patienten des Mittelalters zu ihren Ärzten. Als studierte Doktoren genossen die Ärzte zwar ein gewissen Ansehen, aber wirklich gemocht hat sie niemand. Und geholfen haben sie schon gar nicht. Einen Arzt zu rufen, war das Dümmste, was ein Patient damals machen konnte. Nur die stärksten Naturen überstanden die Krankheit und die Aderlasse. Wenn sie Glück hatten, konnten sie sich den Arzt nach wenigen Wochen nicht mehr leisten, sodass sie die Chance bekamen, sich von den Aderlassen wieder zu erholen. Trotzdem riefen die Kranken damals nach dem Arzt, so wie wir heute nach dem Politiker rufen, wenn ein Missstand behoben werden soll.

Auf dem Papier ist die Demokratie mit Abstand die schönste und angenehmste Regierungsform, aber wenn man sich die Wähler anschaut, kann man nur zu einem Schluss kommen: Die Demokratie ist viel zu schade für das Volk. Da werden Perlen vor die Säue geworfen und die 1 % lachen sich ins Fäustchen. Die Demokratie ist für diese wenigen die Beste aller Regierungsformen. Denn in Diktaturen können auch die Superreichen und Supereinflussreichen von heute auf morgen gestürzt werden. In China rollen immer wieder die Köpfe von Leuten, die man dem erweiterten Kreis der 1 % zurechnen könnte. In Russland saß der sündhaft reiche Oligarch Chodorkowski Jahre lang im Lager und in der Ukraine machte man mit der Oligarchin Timoschenko kurzen Prozess. Hier im Westen gibt es höchstens dreieinhalb Jahre Gefängnis, und das auch nur dann, wenn man sich besonders dumm und arrogant anstellt – und damit das System der 1 % gefährdet.

Wer schon einmal in ein Geschichtsbuch geschaut hat, weiß, dass schlechte Systeme nicht reformiert werden können. Sie müssen sich totlaufen. Und für einen Neuanfang braucht es eine Revolution oder einen verlorenen Krieg. Und bisher haben die Neuanfänge nur Nietzsche und seine ewige Wiederkunft bestätigt. Soll man aber deshalb weiterhin dem Arzt seinen Unterarm hinreichen, damit dieser uns mit seiner Fliete zur Ader lassen kann? Die Medizin hat Fortschritte gemacht, warum soll das in der Politik nicht auch möglich sein? Ganz einfach, weil in der Politik die Mehrheit entscheidet und in der Medizin die Doppelblindstudie.

Die Medizin und noch mehr die Naturwissenschaften haben Fortschritte gemacht, weil man sich dort nicht mit Glauben und Meinen zufrieden gibt, sondern Beweise will. Der Geniestreich der Naturwissenschaft ist die Erkenntnis, dass der Mensch das größte Hindernis für den Fortschritt des Wissens ist. Es muss so gut es geht, aus dem System herausgehalten werden. Deshalb sind nur Experimente gültig, die exakt nachvollziehbar und reproduzierbar sind. Alles andere ist Scharlatanerie. Deshalb sind nur Medikamente wirksam, die sich in einer Doppelblindstudie bewährt haben, was im Grunde nichts anderes besagt, als dass der menschliche Faktor sowohl auf der Seite des Patienten als auch auf der Seite des Arztes ausgeschaltet wurde. Das Interessante an der Sache ist, dass dieser menschenlose Prozess von Menschen vorangetrieben wird. Es geht also.

Es wird Zeit, den menschlichen Faktor aus dem politischen Prozess zu verbannen. Wir brauchen Prozesse, in denen es nicht mehr darum geht, die Dummheit der Menschen für eigene oder fremde Ziele auszunutzen. Wir brauchen Prozesse, die auch dann funktionieren, wenn die Menschen so dumm bleiben, wie sie sind – denn sie werden nimmer klüger. Wir brauchen Prozesse, die auf der Fallibilität aller Beteiligten basieren und diese mit ins Kalkül ziehen. Vielleicht ist die Soziokratie ein Anfang zu einem solchen System.

Literatur

Koschnick, Wolfgang J.: Artikel von Wolfgang J. Koschnick Telepolis. 2013. Internet: http://www.heise.de/tp/autor/wolfgangjkoschnick/default.html. Zuletzt geprüft am: 27.9.2014.

Fußnoten


  1. Koschnick, Wolfgang J.: Artikel von Wolfgang J. Koschnick Telepolis. 2013. Internet: http://www.heise.de/tp/autor/wolfgangjkoschnick/default.html. Zuletzt geprüft am: 27.9.2014. ↩︎