Lasst uns eine Privatwährung schaffen!

Alle Welt prophezeit gerade den Untergang des Euros sowie der globalen Finanzwirtschaft. Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stoßen! Doch wir sollten eine Alternative parat haben.

Privatwährungen existierten schon immer. Jeder kennt sie, jeder hat sie schon einmal benutzt. Ihre Währungseinheit ist ein Zeitmaß: ein Tag, ein Nachmittag, eine Stunde. Sie gilt unter Freunden und guten Nachbarn. Der eine hilft beim Umzug, der andere bei der Steuererklärung.

Der in den Lehrbüchern behauptete Tausch Geld gegen Ware versperrt den Blick auf den wirklichen Tausch: Geld gegen Zeit. Der Volksmund ist da klüger: Zeit ist Geld, das gilt auch umgekehrt. Geld ist Zeit. Geld ist gekaufte Zeit, die man im Gegensatz zur verfließenden Zeit aufbewahren kann. Geld kann jederzeit gegen Zeit eingetauscht werden. Bei Dienstleistungen ist dieser Zusammenhang offensichtlich. Ich kaufe dem Friseur eine Stunde seines Lebens ab, um eine ordentliche Frisur zu erhalten. Aber auch bei Waren ist der letzte Gegenwert die Zeit, die Menschen für ihre Herstellung geopfert haben. Maschinen produzieren Zeit, für die keine Gegenleistung erbracht wird. Denn es ist Zeit, die keinem gehört. Vor den Maschinen gab es das nicht. Alle Zeit war Lebenszeit, die einem Menschen abgehandelt oder abgepresst werden musste. Der Träger von Lebenszeit ist der Leib. Leibeigenschaft ist daher in letzter Konsequenz Zeitbesitz, der Besitz einer fremden Zeit. Wer viele Sklaven besaß, war mächtig, denn er hatte viel Zeit, mit der er etwas anstellen konnte. Er konnte Paläste und Pyramiden bauen, die schönen Künste fördern, Kriege führen. Heute betrachten wir es als ein Verbrechen, die Zeit eines anderen Menschen zu besitzen.

Heute haben wir Maschinen. Maschinen sind wie Sklaven. Man bemächtigt sich der Zeit, die sie erschaffen, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Man könnte dies als Mehrwert bezeichnen. Dass wir darin keine moralische Verfehlung erkennen, liegt daran, dass wir nur die eine Seite der Zeitproduktion betrachten, nämlich die, die unser Leben leichter macht. Maschinen produzieren Zeit, aber diese Zeit macht die Zeitbesitzer mächtiger. Am mächtigsten sind diejenigen, die Zeit speichern: als Kapital. Der Zins ist Zeitschöpfung aus dem Nichts.

Doch genug philosophiert. Es gab und gibt immer wieder Versuche, die Gültigkeit der Zeitwährung über den Kreis privater Beziehungen hinaus auszuweiten. Dass die Versuche den Euro als Zahlungsmittel noch nicht verdrängt haben, sagt nicht viel. Dass es sie überhaupt gibt, ist viel bemerkenswerter. Denn offensichtlich ist vielen Menschen der Zusammenhang zwischen Zeit und Geld bewusst.

Wie können wir uns eine überregionale Zeitwährung vorstellen? Die Frage können wir nur beantworten, wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, wie die Zeitwährung im privaten Bereich funktioniert. Nehmen wir an, ich will umziehen und bitte einen Freund, mir dabei zu helfen. Er tut das gern, obwohl er weiß, dass ich viele Bücher besitze. Nach dem Umzug stehe ich in seiner Schuld. Nach einigen Monaten zieht er selbst um und bittet mich, ihm zu helfen. Ich tue dies und begleiche damit meine Schulden. Das Schuldverhältnis bestand in einer gegenseitigen, unausgesprochenen Übereinkunft, den Zeitverlust des einen in absehbarer Zeit durch eine Zeitgabe auszugleichen. Wenn ich meine Zeitschulden nicht begleiche, gelte ich irgendwann als zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig, ein Ruf, der es mir künftig unmöglich machen wird, Zeit von anderen zu erhalten.

Nun ist es problemlos möglich, das gegenseitige Einverständnis schriftlich in einer Schuldverschreibung niederzulegen. Der Text könnte lauten: ich schulde Peter Mustermann sechs Stunden schwere körperliche Arbeit, weil er mir beim Umzug geholfen hat. Wenn ich es nicht einrichten kann, Peter bei seinem eigenen Umzug zu helfen und damit meine Schuld bei ihm zu begleichen, könnte er diesen Schuldschein an Paul weiterreichen, der einen Garten besitzt, der umgegraben werden muss. Paul hilft Peter beim Umzug und bekommt damit meinen Schuldschein. Irgendwann steht dann Paul vor meiner Tür und bittet mich, meine ursprüngliche Schuld bei Peter in seinem Garten abzuarbeiten. Und nachdem ich seinen Garten umgegraben habe, ist der Schuldschein wieder bei mir. Ich könnte ihn vernichten oder wieder in Umlauf bringen und damit wieder eine Schuld übernehmen.

Wir könnten also eine Währung aufbauen, die ausschließlich aus solchen Schuldverschreibungen besteht. Und teilweise funktionieren die bestehenden Währungen ja auch nach diesem Prinzip. Doch leider ist es bei den bestehenden Währung nicht so, dass die Schuldverschreibung durch die Gabe von Zeit entsteht, oder anders ausgedrückt. Unsere Währungen kranken daran, dass Geld von Zentralbanken und Geschäftsbanken aus dem Nichts geschaffen wird, und nicht als Verpflichtung eine erhaltene Leistung später durch Erbringung einer entsprechenden Leistung zu begleichen. Entstünde Geld in dem Moment, in dem eine Ware oder eine Dienstleistung gekauft wird, hätten wir ein sehr viel besseres Gleichgewicht. Leider ist es so, dass die von Banken aus dem Nichts erzeugte Zeit in die Welt strömt und darauf drängt, verbraucht zu werden. Das geht natürlich nur, wenn immer mehr produziert wird. Da aber nie so viel produziert werden kann, wie Geld in die Märkte gepumpt wird, sucht sich die aufgestaute Zeit andere Ventile wie Kriege oder Spekulationsblasen.

In der Privatwährung entstehen Schuldverschreibungen jedoch nur dann, wenn jemand die Zeit eines anderen genommen hat und damit in dessen Schuld steht.

Bei jeder Währung stellt sich die Frage nach der Gültigkeit. Wie kann das, was im privaten Kreis kein Problem ist, auch überregional funktionieren? Wir müssen sicherstellen, dass eine Schuldverschreibung echt ist, dass also irgendwann irgendwo jemand seine Zeit in den Dienst eines anderen gestellt hat. Die technischen Mittel, um dies zu gewährleisten, besitzen wir. Eine Schuldverschreibung ist nämlich nichts anderes als eine Nachricht mit einem verifizierten Absender (Schuldner), deren Inhalt (Höhe der Schuld) garantiert unverändert ist. PGP/GPG leistet genau das. GPG stellt sicher, dass eine Nachricht tatsächlich von dem angegebenen Absender abgeschickt wurde und auf dem Weg vom Sender zum Empfänger nicht verändert wurde. Im Prinzip könnte eine von mir mit meinem GPG-Schlüssel signierte E-Mail als gültige Schuldverschreibung fungieren.

Natürlich sind damit noch nicht alle technischen Hürden auf dem Weg zu einer globalen Privatwährung genommen. Es müsste zum Beispiel sichergestellt werden, dass Schuldverschreibungen nicht vervielfältigt werden können. Kein einfaches Problem. Die Unterhaltungsindustrie kann ein Lied davon singen, Stichwort: DRM. Doch als unlösbar würde ich das Problem nicht bezeichnen. Vielleicht können Konzepte von Bitcoin verwendet werden. Vielleicht müssten alle Schuldverschreibungen aber auch ohnehin in einem großen Repository gepflegt werden.

Ein Wort noch zu Bitcoin. Die Währung hat nichts anderes gemacht, als den Fetisch-Charakter des Goldes zu digitalisieren. So wie Gold aufgrund seiner metallischen Eigenschaften nicht nachgemacht werden kann, so sollte auch die digitale Bitcoin-Währung aufgrund kryptographischer Algorithmen fälschungssicher sein. Die Lösung geht damit vollkommen an dem grundsätzlichen Prinzip des Tausches Zeit gegen Schuld vorbei. Die Währung erwächst nicht aus dem wirtschaftlichen Handeln der Menschen, sondern wie das Gold aus der Erde. Bitcoin ist ein Fetisch und keine soziabile Währung.