Rausschmiss

Wolfgang Clement als Querdenker zu bezeichnen, ist ungefähr so falsch wie beim Doping im Radsport von Einzelfällen zu sprechen. In seinen besten Tagen war er ein kalter Technokrat wie Steinmeier. Als Wirtschaftsminister kam dann der Atomlobbyist zum Vorschein.

Leider wirft die SPD Clement nicht aus der Partei, weil er die Interessen der Atomindustrie über die Gesundheit der Bevölkerung stellt, sondern weil er den Wahlsieg der SPD in Hessen erfolgreich sabotiert hat. Die Partei handelt damit aus den gleichen niedrigen Beweggründen wie Clement: Geld und Pfründe, die nun in Hessen nicht unter den Genossen verteilt werden können.

Das ist nun weder etwas Besonderes noch ein besonderer Charakterzug der Sozialdemokraten. Partikulare Interessen sind das Merkmal von Parteien. Deshalb heißen sie Parteien. Sie vertreten, wie die Gewerkschaften und Industrieverbände, ihre eigenen Interessen. Es gehört zum Kern des parlamentarischen Demokratiemythos, dies nicht allzu deutlich auszusprechen. Zwar wissen es alle, aber ohne ein bisschen Selbstbetrug und Fassade ständen unsere Volksvertreter verdammt nackt da.

Nun ist, spätestens seitdem Kohl aus Deutschland eine Bimbesrepublik gemacht hat, es auch kein Geheimnis mehr, dass einige Parteien ihre eigenen Interessen ganz gut an die Interessen bestimmter Wirtschaftsbranchen und Unternehmen anpassen können. Einige Branchen sind dabei besonders anschmiegsam, wie zum Beispiel die Atomindustrie. Es fing schon damit an, dass die Atomkraftwerke den Unternehmen so gut wie geschenkt wurden. Wäre der Bau der Atomkraftwerke nicht durch unsere Politiker mit Ihrem Geld, liebe Leserin, lieber Leser, großzügig gefördert worden, wären sie nie entstanden. Hätten die Stromkonzerne die Kosten für die Verteidigung der Bauplätze gegen aufgebrachte Bürger selbst tragen müssen, hätte man die Bauplätze niemals verteidigen müssen, da es sie nie gegeben hätte. Die Atomkraftwerke sind ein Geschenk des Volkes an die Aktionäre der Stromindustrie überreicht durch unsere Politiker. Das ging so lange gut, wie der durchschittliche SPD-Wähler diesem Treiben und den daraus entstehenden Risiken für Leib und Leben gelassen oder fatalistisch zusah und nur wenige Wähler zu den Grünen abwanderten, die sich genau aus den oben angeführten Gründen zunächst als Antipartei verstanden. Denn in der damaligen Republik waren alle Parteien für die Atomkraft, sodass man mit aristotelischer Logik sagen konnte: alle Parteien sind für die Atomkraft, die Grünen sind dagegen: Also sind die Grünen keine Partei.

Als dann immer mehr Wähler den Ausstieg aus der Atomkraft forderten, kam es innerhalb der SPD zu so genannten Interferenzmustern bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen. Die deckten sich nämlich nicht mehr mit denen der Atomindustrie, sodass ein schillerndes Winden und Wenden anfing, an dessen vorläufigem Ende der von der SPD mit getragene Atomausstieg stand. Natürlich stand allen Genossen, die es bisher genossen hatten, weiterhin ein Zweiteinkommen als Berater der Atomindustrie zu. Es schadete ja auch überhaupt nicht, widerwillig Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Und Clement hätte auch bis an sein Lebensende den Atom-Wolfgang geben können, wenn er die Ypsilanti in Hessen nicht kurz vor dem Ziel gefoult hätte. Doch er konnte natürlich nicht schweigen, weil nach der Wahl kein Mensch auf sein Gebrabbel gehört hätte. Der Wahlsiegerin Ypsilanti in alle verfügbaren Waden zu beißen, hätte niemals die gewünschte Wirkung gezeigt. Das Gerede eines ausgewiesenen Atomlobbyisten aus den Reihen der SPD war für die Medien und damit für die Wähler nur vor der Wahl interessant, nicht danach.

Der Rausschmiss Clements ist natürlich richtig, wenn auch aus den falschen Gründen. Denn die sprechen eher dafür, dass die SPD immer noch nicht verstanden hat, dass sie sich in eine Sackgasse manövriert hat. Das große Problem der SPD sind die Gewerkschaften, mit denen sie traditionell eng verbunden ist und deren Macht auf den Mitbestimmungsgesetzen in den Großkonzernen basiert. Die Basis der SPD sitzt als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der großen Konzerne, sodass die Interessen der Großindustrie, der Gewerkschaften und der SPD eine unheilige Allianz eingehen, die unter dem Namen Deutschland AG nur unzureichend beschrieben ist. Personifiziert werden diese ineinander verknäulten und verknoteten Interessen beispielsweise in dem ehemaligen Chef der Bahngewerkschaft Transnet, der nun für die Bahn AG den Personalabbau plant.

Wenn sich die SPD aus dem Filz der Großkonzerne löst, indem sie die enge Bindung an die Gewerkschaften kappt, hat sie gute Chancen, wieder zu einer großen Volkspartei zu werden. Denn erst durch die Gewerkschaften ist sie überhaupt in den Sog der Großkonzerne geraten. Die Reaktion der SPD auf den Erfolg der kleinen Lokführergewerkschaft lässt jedoch nichts Gutes ahnen. Sie steht fest zu den Elefanten.