Liberum Veto

Die Polen sind noch nicht einmal ordentliches Mitglied der EU, da exportieren sie bereits ihren schlimmsten Albtraum, das ›Liberum Veto›, nach Europa.

Mit dem ›Liberum Veto‹ konnte im 17. und 18. Jahrhundert jeder kleine und verarmte Landadelige das polnische Parlament, den Sejm, das auch den König wählte, beschlussunfähig machen. Diese freiwillige Selbstentmannung machte Polen zum Spielball seiner Nachbarn und führte schließlich zur ersten Teilung Polens 1792, der weitere Teilungen folgten, bis Polen schließlich ganz von der Landkarte verschwand. Diesen nationalen Albtraum exportieren die Polen nun nach Europa, als wenn dort nicht schon lang genug polnische Verhältnisse geherrscht hätten. Mit ihrem Liberum Veto haben sie in der letzten Woche die europäische Einigung erst einmal blockiert.

Die romantische Adelsanarchie im Polen des 17. und 18. Jahrhunderts, als die Stimmen der Schlachta im Sejm wie auf einem Basar den Großmächten feilgeboten wurden und dieser Graf mit Frankreich, jener mit Russland und ein anderer wiederum mit Österreich, Sachsen oder gar Preußen paktierte, ähnelt verblüffend der europäischen Außenpolitik des 21. Jahrhunderts. Die einen spielen Hilfsheriffs einer Amok laufenden Weltmacht, und die anderen versprechen der größten Diktatur der Welt, sich für eine Aufhebung der EU-Sanktionen einzusetzen. Europa ist wahrlich das Polen des 21. Jahrhunderts, ein Spielball der Großmächte. Und eine erste Teilung in ein neues und in ein altes Europa, die sich jedoch lediglich darin unterscheiden, dass dieses den Arsch noch leckt, in das jenes bereits gekrochen ist, hat die Großmacht im Westen auch schon vollzogen und eine zweite in ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten steht uns dank des polnischen Starrsinns nun wohl endgültig bevor.

Die Deutschen, die so vehement die Aufnahme Polens in die EU beförderten, müssen sich jetzt wohl fragen, ob es gut ist, europäische Politik als Aufarbeitung des 1. Septembers 1939 zu betreiben. Denn nun hat ein Land Sitz und Liberum Veto in der EU, dessen Europapolitik maßgeblich vom 2. August 1792, dem Tag, an dem Preußen, Russland und Österreich den polnischen Teilungsvertrag unterzeichneten, beeinflusst wird. Denn die Polen haben aus ihrer Geschichte scheinbar das Falsche gelernt. Dabei hätte ein Blick über ihren Bauchnabel hinaus genügt, um zu sehen, was mit einem Gemeinwesen passiert, dass sich in eine selbstgewählte Regierungsunfähigkeit begibt. Wenn ihnen die polnische Tragödie von 1792 nicht die Augen öffnen konnte, so hätten sie bloß einmal über Oder und Neiße in die deutsche Gegenwart blicken müssen. Ist denn das Deutschland der 16 Bundesländer nicht Abschreckung genug für ein Europa der 25! Was hat denn dieser Klüngelladen aus Vermittlungsausschuss und Elefantenrunde gerade erst wieder zu Stande gebracht? Kaninchenköttel! Und diese qualvolle Peristaltik steht nun, auf Jahre hinaus, auch Europa bevor.

Besonders schlimme Folge hat das Liberum Veto der Polen jedoch für die Türkei. Als wäre er Jan Sobieski und führte zu Pferde am Kahlenberge bei Wien ein Heer aus Polen, Deutschen und Österreichern gegen die Türken, hat er, unbewusst vielleicht, mit seinem Veto vom Rollstuhl aus die Türken aus Europa erst einmal vertrieben. Denn noch einen unsicheren Kantonisten können selbst die Deutschen sich in Europa nicht mehr leisten.

Aber noch ist Europa nicht verloren, möchte man als aufrechter Patriot den Kirchturms-Politikern in ganz Europa entgegenschleudern. Doch leider wissen wir nur zu gut, dass die Polen 200 Jahre lang die erste Zeile ihrer Nationalhymne wie ein Mantra herunterleiern mussten, bis sie endlich souverän wurden. Hoffen wir, dass es keine 200 Jahre mehr dauern wird, bis von den Nationalstaaten in Europa nichts mehr übrig ist als Kaninchenköttel im europäischen Vermittlungsauschuss. – Solingen den 15. Dezember 2003