Eine Shoa im Reagenzglas?

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel werden zusehends familiärer. Während unser Außenminister Joschka Fischer als neuer Vermittler im Nahen Osten den heiligen Geist über Israelis und Palästinenser brachte und erstere davon überzeugen konnte, die Endlösung der Palästinenserfrage vorerst zu verschieben, will Wolfgang Clement jüdische Kinder importieren, um an ihnen medizinische Experimente vorzunehmen.

Da es sich bei dem jüdischen Nachwuchs aber um ganz, ganz kleine, ja geradezu winzige und zudem pürierte und homogenisierte Kinder handelt, die zwar gezeugt, aber nie von einer jüdischen Mutter geboren wurden, darf man den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nun aber keinesfalls als neuen Mengele vom Rhein und das Genlabor in Bonn als ein Miniatur-KZ bezeichnen, in dem fleißig an der Endlösung der Clementschen Profilneurose gearbeitet wird.

Ob Wolfgang Clement mit den embryonalen Stammzellen aus Israel nun einen neuen Volksstamm oder den Übermenschen züchten will oder ob er lediglich scharf auf ein paar lukrative Gen-Patente ist, das dürfte nicht schwer zu beantworten sein. Schließlich lässt Clement keine Gelegenheit aus, um sich von seinem Vorgänger und Übervater Johannes Rau abzugrenzen und betet uns deshalb in immer neuen Varianten sein Glaubenbekenntnis vor: erst kommt das Fressen, dann die Moral. Und gefressen bzw. verbraucht werden in diesem Fall eben Embryonen, die uns Israel frei Haus liefern will.

Ob einem Rabbiner die forschende Auslöschung jüdischer Stammzellen als eine Fortsetzung der Shoa mit anderen Mitteln erscheint, weiß ich nicht. Mich wundert nur, dass weder Clement noch seinen Kritikern dieser Aspekt der deutsch-jüdischen Forschungsgemeinschaft aufgefallen ist. Man könnte fast auf die Idee verfallen, Israel verkaufe uns palästinensische Stammzellen. So hätten dann beide Seiten etwas von dem Geschäft. Clement hätte illegale Einwanderer durch eine Gesetzeslücke im Embryonenschutzgesetz nach Deutschland eingeschleust und die Israelis hätten den Nachwuchs der Intifada sicher entsorgt. Damit wären wir dann wieder bei den familiären Beziehungen.

Wenn man sich die Wachstumsaussichten der Genindustrie einmal ansieht, so wird einem schlagartig bewusst, wie antiquiert der Vernichtungswahn der Nazis heutzutage wirkt. Immerhin haben sich die Nazis ein Bombengeschäft selbst verdorben. Anstatt Juden in ganz Europa einzusammeln, um sie in Konzentrationslagern umzubringen, hätten sie sie lieber auf Stammzellenfarmen domestizieren sollen. Statt buntschillerndes Giftgas zu produzieren, hätte die unsterbliche IG Farben AG lieber ein Patent auf die jüdische Rasse anmelden sollen. Damit wären alle jemals von jüdischen Müttern geborenen Millionäre mit all ihren Stammzellen zum Stammkapital der IG Farben AG geschlagen geworden. Kein deutscher Arbeitsloser hätte jemals wieder im Arbeitsdienst schuften müssen, denn jeder Lebens- und Arbeitstag eines Juden wäre für den arischen Shareholder und Lizenzgeber ein Feiertag gewesen. Und selbst unsere heutigen angeblich immer arbeits- und perspektivlosen Neonazis wären allesamt satte, zufriedene und gewaltlose Aktionäre. Uns allen wäre die Werbefilmanimation Robert T. Online erspart geblieben, denn statt der T-Aktie hätte jeder aufrechte Deutsche heute seine J-Aktie im Depot. Deutschland wäre nachgerade zur Schutzmacht aller Juden auf der ganzen Welt geworden, und man würde die Kinder Abrahams so pfleglich behandeln wie einen fabrikneuen Mercedes-Benz. Doch statt dieser blühenden Landschaften bekamen wir in Nordrhein-Westfalen den Schwarzen Peter: die Steinkohle.

Das will Wolfgang Clement jetzt ändern. Ganz Nordrhein-Westfalen soll auf Teufel komm raus ein einziges Genomical Valley werden. Von der rheinischen Tiefebene bis zum Sauerland, von Westfalen quer durchs Ruhrgebiet bis in die Eifel: ein gentechnisches Hochsicherheitslabor soll sich ans nächste reihen und die Fördertürme der Vergangenheit endgültig verdrängen. Statt vieler Kumpel sollen kleine Klumpen aus Stammzellen Geld in die Kassen spülen. Wohlstand ohne Ärger steht uns bevor, denn Embryonen streiken nicht, wollen keine Mitbestimmung, können kein Asyl beantragen und werden die deutsche Wirtschaft in fünfzig Jahren nicht auf Schadensersatz wegen geleisteter Zwangsarbeiterdienste verklagen. Bleibt nur eine Gefahr. Militante Embryonenschützer, die in die Genlabors eindringen, die eingesperrten Embryonen befreien, austragen und ihnen gute amerikanische Anwälte besorgen. – Solingen den 5. Juni 2001