Kohl spricht auf Einheitsfeier

Wie aus bekanntlich gut unterrichteten Kreise durchsickerte, wird Helmut Kohl nun doch auf der Einheitsfeier am 3. Oktober 2000 in Dresden sprechen. Der Bundesvorstand des Gesamtdeutschen Kleingärtnerverbands GDKV hat einstimmig beschlossen, den Kanzler der Einheits-Datscha als Festredner einzuladen. Ohne Helmut Kohl, so der Bundesvorsitzende Friedhelm Schaufel, hätte es nie eine gesamtdeutsche Kleingartenbenutzungsordnung gegeben. Man wolle sich vor dem Lebenswerk des Ex-Kanzlers, den blühenden Einheits-Rabatten in Ost und West, verneigen und ihm für seine historischen Verdienste danken. Helmut Kohl, gerührt von der Anhänglichkeit der unermüdlich Unkraut jätenden Bürger, sagte sofort zu und zeigte der jetzigen Regierung gleich, was eine Harke ist:

»Die Einheit der Kleingärtner ist ausschließlich das Werk der CDU, denn die Linken, SPD und Grüne, haben die Präambel der Bundeskleingartenverordnung noch drei Monate vor dem Fall des Maschendrahtzauns verraten. So hat der Außenminister Joschka Fischer damals gesagt, es sei ökologischer Unsinn, in Ost und West mit der gleichen chemischen Keule Gemüse anzubauen. Wir sollten lieber 20 Jahre die Giftspritze dichthalten. Liebe Kleingärtner, das ist eine nationale Schande! Rotgrün wollten die Einheit auf den Komposthaufen der Geschichte werfen. Sogar heute noch missachten sie mit ihren Multikulti-Ökogärten den Wunsch der Bürger nach unkrautfreien Gemüsebeeten!«

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kritisierte daraufhin den Ex-Kanzler. Es seien vor allem die Kleingärtner in Leipzig und anderswo gewesen, die gegen den Maschendrahtzaun auf die Straße gegangen seien und in den Kirchen gebetet hätten für den freien Zugang zu Pflanzenschutzmitteln der Firma Bayer. Er habe den Eindruck, Helmut Kohl wolle die Ostdeutschen enteignen und auch noch um ihre selbstgezüchteten Rosen betrügen.

Angela Merkel, die ihren Helmut seit gestern wieder so devot anhimmelt wie vor sechs Jahren, sagte, sie freue sich, mit Helmut Kohl wieder einmal gemeinsam an den von Mehltau und Rosenrost befreiten Blumenbeeten entlang zu schlendern. Und mit poetischem Timbre in der Stimme sagte sie, man könne von einem Einheitskanzler nicht verlangen, dass er ohne doppelte Buchführung auskäme, es sei eben keine Rose ohne Dorn. – Solingen 28. September 2000