Heute ist der 3. Oktober! Basta!

Werner Schulz hat Recht, wenn er sagt, dass wir den falschen Nationalfeiertag besitzen. Der 3. Oktober hat mit der Wiedervereinigung so viel zu tun, wie der 1. April oder der 29. Februar. Er ist nichts anderes als ein mit großer Perfidie willkürlich festgelegtes Datum, um den Beitritt der DDR zum Gültigkeitsbereich des Grundgesetzes offiziell zu vollziehen. Perfide ist dieses Datum, weil die DDR unbedingt noch vor ihrem 41. Jahrestag, dem 7. Oktober 1990, untergehen sollte. Und willkürlich ist dieses Datum, weil es dann auch noch unbedingt der Todestag des Kohlschen Männerfreundes Franz Josef Strauss sein musste, der mit dem von ihm eingefädelten Milliardenkredit die DDR noch ein wenig länger über Wasser gehalten hatte. (Oder drängte Kohl auf den 3. Oktober, um sich gerade am Todestag seines Erzrivalen offiziell freuen zu dürfen? Wer weiß?)

Mein Gott! Was sind wir für ein Volk!

Der 9. November ist jedenfalls ein Tag, an dem man ausrufen kann: Mein Gott, was sind wir für ein Volk! Der 9. November 1848, so erinnert Werner Schulz, ist der Tag, an dem der Leipziger Demokrat Robert Blum hingerichtet wurde. Am 9. November 1918 wurde die Spaltung der deutschen Linken offenbar, als Scheidemann und Liebknecht sich beim Ausruf der Republik gegenseitig zuvor kommen wollten. Der 9. November 1938, der Tag der so genannten Reichskristallnacht, ist der Tag der größten Erniedrigung des deutschen Volkes, denn erbärmlicher als im Dritten Reich kann ein Volk kaum noch sein. Und schließlich der 9. November 1989, der Tag, an dem die Wiedervereinigung des deutschen Volkes durch dieses selbst auf der Straße vollzogen wurden. Vereinter und glücklicher waren die Deutschen nie wieder.

Kein Tag für Bonzen

Der 9. November ist also ein Datum, das sich in geradezu erschreckender Weise als Nationaler Gedenktag eignen würde, wenn die Herrschenden damals den Mut gehabt hätten. Sie hatten ihn nicht, denn sie spürten, der 9. November war nicht gerade ihr Tag. Für manchen SED-Bonzen führte der 9. November schnurstracks ins Gefängnis, und der Überkanzler Kohl wurde ausgepfiffen, als er auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses damit begann, den Fall der Mauer für sich zu vereinnahmen. Der 9. November war der Tag der Medien, die ganz einfach die Mauer für geöffnet erklärten. Es war der Tag der Berliner, die zur Grenze strömten und diese einfach hinter sich ließen. Es war der Tag der Grenzsoldaten, die, weil ihnen niemand befahl, zu schießen, tatsächlich nicht schossen und die Schlagbäume hochzogen.

Der 9. November gehört uns!

Die Plumpheit der Herrschenden gibt uns die Möglichkeit, unseren nationalen Gedenktag fernab von staatstragenden Festakten, deren Peinlichkeit heute kaum noch zu überbieten ist, still oder laut, nachdenklich oder ausgelassen zu begehen. Der 9. November 1989 gehörte uns, was danach geschah, ist das Werk der vereinten Bonzenschaft. Und wenn diese dann heute wieder mal mit ihrem Gerede anhebt, dann können wir den Fernseher ausschalten, das Fenster aufreißen und hinausrufen: Heute ist der 3. Oktober! Basta! – Solingen 9. November 1999