Der KZ-Burger und die Kulturgeschichte der Vertreibung

»Papa, soll ich meinen Hamburger dem armen Kind da im Fernsehen schicken?« Diese Frage stellten gestern vielleicht einige Kinder in den USA, als sie bei McDonalds und bei Burger King in ihren Hamburger bissen und dabei ihren Präsidenten im Fernsehen beobachteten, wie er einem Flüchtlingskind aus dem Kosovo über den Kopf streichelte. Und in seiner Ratlosigkeit wird der Vater dem Kind vermutlich ebenfalls über den Kopf gestreichelt und gesagt haben: »Du bist ein gutes Kind. Aber bis dein Hamburger in diesem Land irgendwo am Ende der Welt angekommen ist, ist er schon verdorben. Iss ihn lieber selbst und danke Gott, dass wir in einem Land leben, das Hamburger hervorgebracht hat und keine Milosevics.« So schnell wird aus einem Fleischklops ein Politikum, wenn auch bloß eins, dass als Bestätigung für die Überlegenheit unserer westlichen Demokratie herhalten kann.

Und zu dieser Überlegenheit gehört auch eine ganze Menge Ahnungslosigkeit, wie nicht nur die Nato seit Wochen im Kosovokonflikt beweist, sondern scheinbar auch eine regionale Werbeagentur aus Thüringen. Denn diese Agentur hat angeblich für den Bulettenbäcker Burger King eine Werbekampagne für das Erfurter Kneipenfestival Honky Tonk kreiert. Der einfallsreiche Slogan dieser überaus kreativen Agentur lautete ›Jedem das Seine‹, ein Spruch der bekanntlich schon über der Buchenwalder KZ-Kantine prangte. Nun habe Burger King die Kampagne nach massiven Protesten gestoppt, sie sei, so ein Sprecher ›unüberlegt‹ und ›ein Versehen‹ gewesen. Ob die jungen, kreativen Werbetexter aus Thüringen während der Wende den Geschichtsunterricht geschwänzt haben, oder ob sie mit ihrem Slogan nur zielgruppengerecht die dynamische Jugend aus Erfurt erreichen wollten – wer will das entscheiden? Gewundert hat mich jedoch, dass es dem ewigen Zweiten hinter McDonalds wirtschaftlich so gut geht, dass er sein Geld gedankenlos für ›unüberlegte‹ Werbung aus dem Fenster schmeißen kann.

Doch kehren wir zum Kosovo und einer historischen Verwegenheit ganz anderen Kalibers zurück. Dass der Diktator von Belgrad mit Hitler verglichen wird, ist sicherlich nicht ganz unproblematisch, und dass Kriegsgegner dem Bundeskanzler auf Plakaten einen Chaplin-Schnauzer anmalen, zeugt auch nicht gerade von historischem Weitblick – mag aber unter der Rubrik Polemik abgehakt werden. Nun aber zieht mit kühler Überlegung die Tageszeitung DIE WELT in einer ›Kleinen Kulturgeschichte der Vertreibung‹ seit einigen Tagen historisch besonders kreative Vergleiche zwischen den Kosovoflüchtlingen und den Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den heute so genannten deutschen Ostgebieten geflohen sind oder vertrieben wurden. Diese Berichte über die Leiden der deutschen Vertriebenen sind immer sorgsam zwischen die Berichte über die Gräuel aus dem Kosovo platziert. Und nun kommen wir auch wieder zum Fleischklops zurück, in den ein amerikanischer Junge gestern dann doch noch herzhaft gebissen hat, weil das Fernsehen zu den Tornados in Oklahoma umschaltete. Denn in einem dieser historischen Artikel der WELT weist ein deutscher Heimatvertriebener darauf hin, dass 1945 der amerikanische Nachrichtensender CNN noch nicht erfunden war und daher die Welt von den an den Deutschen verübten Gräueltaten der Russen, Polen, Tschechen und Jugoslawen nichts erfahren habe. Über die historische Vergleichbarkeit von verdorbenen Hamburgern und Care-Paketen sagen diese Artikel leider nichts aus.

Ob es geschmackvoll ist, die Leiden von Menschen aneinander abzumessen, sei einmal dahingestellt. Aber wenn schon verglichen werden muss, dann doch bitte weniger falsch: die Ostpreußen, Schlesier und Sudetendeutschen gleichen eher den aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina vertriebenen Serben als den Kosovo-Albanern. Denn wie die Deutschen im Osten, sind heute die Serben – ob persönlich schuldig oder nicht – nach dem von Serbien entfesseltem Bürgerkrieg in vielen Gebieten unerwünscht. Ob es den Herren Redakteuren der WELT einfach nur an journalistischem Takt fehlt, oder ob sie in dem Leid der Kosovaren die letzte Chance erblicken, das Lied der Ewiggestrigen anzustimmen – wer will das entscheiden?

Die Serben jedoch, um noch einmal die demokratische Bulette ins Spiel zu bringen, können mit unverdorbenen Hamburgern oder Care-Paketen erst dann rechnen, wenn ihr Diktator dem flammenden Beispiel Hitlers gefolgt ist, und sie sich auch noch aus dem Kosovo zurückgezogen haben. – Solingen 7. Mai 1999