Das Goldene Zeitalter

Es wird keine Mehrwertsteuererhöhung geben. Der illusionslose Leser mit der schmerzhaften Erfahrung von mehreren Legislaturperioden wird sich nun fragen, wie ich zu dieser abenteuerlichen Überzeugung gekommen bin. Das ist ganz einfach, und ich will daraus auch kein Geheimnis machen. Ich habe weder einen Informanten im Kanzleramt, so auskunftsfreudig Bodo Hombach auch manchmal sein mag, noch habe ich einen informellen Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium. Die Mehrwertsteuer wird nicht erhöht, weil das Geld schlicht und einfach nicht gebraucht wird. Denn unser Kanzler hat eine neue Geldquelle entdeckt, die uns alle ins Goldene Zeitalter führen wird: sich selbst, seinen attraktiven, makellosen Körper, seine Aura, seine Ausstrahlung kurz: seine Werbewirksamkeit.

Das Ausland sollte sich warm anziehen, denn Kanzler Schröder tut das schon und zwar als Model für Brioni. Die Zeit ist nicht mehr fern, da werden wir alle von der Steuer befreit, weil der Kanzler den Haushalt durch lukrative Werbeverträge im Handumdrehen ausgleichen wird. Nie wieder Lohnsteuer, nie wieder Solidaritätszuschlag, keine Mehrwertsteuer mehr, und keine Steuer auf Tabak und Alkohol: Gerhard Schröders Werbeeinkünfte führen uns einer steuerfreien, sorglosen Zukunft entgegen.

Vorbei die Zeiten, in denen die Beckers, die Steffis und die Franzis ihre ungezählten Werbe-Millionen am deutschen Fiskus vorbei in monegassische Immobilien oder schillernde Südseefirmen anlegten! Vorbei die Zeiten, in denen der läppische Erfolg über die Unwägbarkeiten eines Filzballs oder die Erfolge eines Schwimmkurses im Vorschulalter ausreichten, um ganze Kapitalströme auf private Konten in der Schweiz zu pumpen. Nun scheffelt das deutsche Volk vertreten durch seinen politischen Führer selbst die Werbemillionen. Das Zeitalter der Barilla-Steffi ist vorbei, es lebe unser aller Brioni-Gerhard!

Der Bundeskanzler übertrifft damit seinen Amtseid um Längen, wie man im Schwimmsport sagen würde, nämlich um seine Länge: Konfektionsgröße 52 – Verzeihung, dem Kanzler der neuen Mitte ist kein Mittelmaß gewachsen, der Kanzler trägt nur Maßanzüge. Er wendet nicht nur Schaden vom deutschen Volke ab, er wirft, wie Pasolini einmal forderte, seinen maskulinen Alabasterkörper in den Kampf, um den Wohlstand des deutschen Volkes zu mehren. Kurzsichtige Kritiker werfen ihm nun vor, dass er für die italienische Modefirma Brioni Werbung macht und nicht für einen deutschen Hersteller. Ja soll der Genosse der Bosse und zukünftige Boss der Genossen etwa Boss tragen und sich von einer deutschen Aktiengesellschaft bezahlen lassen und damit das Geld von der einen Jackentasche in die andere stecken? Wenn schon, dann muss doch wohl ein deutliches, gesamtwirtschaftliches Plus dabei herauskommen!

Nun endlich wissen wir auch, warum sich Schröder mehr Fischer und weniger Trittin wünscht. Denn auch Fischer wäre eine ideale, universell vermietbare, nationale Werbefläche, unser Außenminister könnte weltweit nicht nur glaubhaft, attraktiv und überzeugend für italienische Maßanzüge werben, sondern auch für Nike und Vitell, ja sogar für intellektuelle Ladenhüter wie den Großen Brockhaus. Die Perspektiven sind grenzenlos!

So könnte man in der Kuppel des ›Plenarbereichs im Reichtagsgebäude‹ eine Berlin überstrahlende Neonreklame installieren, Bandenwerbung im Bundestag zulassen und die Fraktionen nach ihren Sponsoren benennen. Die Steueroase Deutschland könnte Wirklichkeit werden! Jedesmal wenn der Bundestagspräsident die Live-Übertragung aus dem Bundestag mit den Worten unterbricht: »Wir sehen uns wieder nach der Werbung« kann sich der Ex-Steuerzahler in seinem Sessel zurücklehnen und mit den rasch verfließenden Werbesekunden die Millionen vor dem geistigen Auge zusammenaddieren, die gerade wieder in den deutschen Steuersäckel purzeln.

Doch wir wollen die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Noch ist es Gerhard Schröder allein, der seinen Beitrag zur Sanierung der von Kohl & Co. zerrütteten Staatsfinanzen leistet. Noch fehlen der SPD die Werbeträger, klar die Roten können eben nicht mit Geld umgehen. Und die Grünen schießen wieder einmal quer! Joschka Fischer hat seine Werbeverträge sogar gekündigt! Bei unseren Schulden grenzt das fast an Hochverrat! – Solingen 23. März 1999