Idealisten in Nadelstreifen

Eine Studie der Unternehmensberatung Towers Perrin hat herausgefunden, dass Deutschland, was den Verdienst seiner Top-Manager angeht, in der Welt weit abgeschlagen auf Platz 16 rangiert. Während der Chef eines Industrieunternehmens in den USA mit einem Jahresumsatz zwischen 250 und 500 Mio. Dollar durchschnittlich 1.072.400 Dollar im Jahr verdient, schuftet sein deutscher Kollege für schlappe 398.430 Dollar. Rechnen wir dann noch den recht hohen deutschen Spitzensteuersatz hinzu oder besser ab, so erscheinen uns die deutschen Wirtschaftsführer ziemlich weltfremde Idealisten zu sein, die ihre Gesundheit opfern, um Arbeitsplätze, Shareholder Value und Exportüberschüsse am laufenden Band zu produzieren.

Wie fühlt sich ein deutscher Top-Manager, der bei einer internationalen Pressekonferenz die als Fusion kaschierte Übernahme einer amerikanischen Firma verkündet und dabei wie ein Bettler in einem geliehenen Nadelstreifenanzug neben seinem rolexbewehrtem US-Pendant sitzen muss? Natürlich spricht man in den Kreisen, in denen Jürgen Schrempp (Daimler) und Robert Eaton (Chrysler) verkehren nicht über Geld. Man hat es. Dennoch ist die stoische Gelassenheit, mit der unsere Business-Asketen dieses Wohlstandsgefälle aushalten, bewunderungswürdig.

Der freiwillige Lohnverzicht, den unsere Bosse da seit Jahren leisten, um unter dem Joch der Aktionäre, diesen Millionengewinne zu erwirtschaften und jedes Jahr pünktlich zur Aktionärsversammlung neue Umsatzrekorde zu erzielen, sollte den Genossen von der Gewerkschaft ein Vorbild sein. (Vielleicht beglückt uns eine Unternehmensberatung ja auch einmal mit einem internationalen Vergleich der Bezüge von Gewerkschaftsfunktionären.) Heute schon liegen deutsche Arbeiter, was ihre Bezüge angeht, weltweit an dritter Stelle. Und das nach 16 Jahren konservativ-liberaler Wirtschaftspolitik! Und jetzt fordert die IG Metall noch einmal 6,5 Prozent hinzu! Das kann nicht angehen, die Schere zwischen armen Managern und reichen Malochern würde sich immer mehr öffnen. Erst wenn das Lohnniveau unten am Fließband ebenso niedrig wie oben in der Chefetage ist, sind wir international wieder konkurrenzfähig. Nach meinen Berechnungen, ich lasse mich da gerne von berufener Seite korrigieren, müsste eine Halbierung des derzeitigen Lohnniveaus so gerade eben ausreichen, um den deutschen Arbeiter dem deutschen Topmanager gleichzustellen.

Doch kehren wir zu unseren asketischen Idealisten zurück, dem billigen Jakob in der obersten Etage. Vielleicht lässt sich der Erfolg deutscher Unternehmen auf dem internationalen Parkett ja auch gerade durch die Hungerlöhne ihrer Manager erklären. Denn wenn ein deutscher Manager mal so richtig gut verdienen will, dann muss er schon in den USA arbeiten. Da aber amerikanische Firmen nur ungern deutsche Gastarbeiter einstellen, bleibt den deutschen Managern nichts anderes übrig als mit ihrem deutschen Unternehmen solange Rekordgewinne einzufahren, bis die Kriegskasse so gut gefüllt ist, dass man ein amerikanisches Filetstück ergattern und den eigenen Chefsessel ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten transportieren kann. Darum kaufte Daimler Chrysler, die Deutsche Bank Bankers Trust und Bertelsmann Random House. Die Globalisierung ist also nichts anderes als eine durch das Wohlstandsgefälle ausgelöste Wanderungsbewegung verarmter Manager aus Deutschland. Deutschland ist ein Auswanderungsland. Wir brauchen dringend ein modernes Auswanderungsgesetz, das verhindert, dass unsere Idealisten in Nadelstreifen den Standort Deutschland einfach so mir nichts dir nichts verlassen. Doch welche Regierung hat den Mut, dieses heiße Eisen anzufassen?

Rang Land Jahresgehalt in Dollar
1 USA 1.072.400
2 Brasilien 701.219
3 Hongkong 680.616
4 Argentinien 655.309
5 Großbritannien 645.540
6 Singapur 545.517
7 Frankreich 520.389
8 Kanada 498.118
9 Italien 487.060
10 Belgien 480.781
11 Schweiz 475.342
12 Mexiko 456.902
13 Niederlande 449.889
14 Australien 431.890
15 Japan 420.855
16 Deutschland 398.430

: Lohndumping im Topmanagement – die ganze Wahrheit

(Stand: 1. April 1998, 1 Dollar=1,82 DM; Quelle: Towers Perrin ›Worldwide Total Rewards 1998‹)– Solingen 10. Februar 1999