Euro, Euro über alles

Euro, Euro über alles, über alles in der Welt. So tönte es heute, am ersten Euro-Börsentag aus allen Lautsprechern. In der Zeitung, im Radio, im Fernsehen, überall verkündete man: der Euro hatte einen Traumstart. Der Euro bietet dem Dollar die Stirn. Die neue Leitwährung. Euro gewinnt gegenüber dem Dollar. Man möchte vor lauter Europhorie ins nächste Kaufhaus stürzen und in einem allein seligmachenden Euro-Kaufrausch versinken.

Die Börsianer waren natürlich cool wie immer. Jeder der Geld hat, begrüßt den Euro wie der Junkie die frisch aufgezogene Spritze, doch wer bisher jede Mark zweimal umdrehen musste, der muss nun jeden Euro gleich viermal umdrehen, bevor er ihn ausgibt. Ob das die Wirtschaft ankurbeln wird?

Die Fieberkurve des Kapitalismus schnellt also wieder einmal nach oben. Und im Rückblick auf dieses Jahrhundert muss man leider feststellen: Der Kapitalismus ist eine schlimme Seuche, gegen die noch kein Heilmittel ohne erhebliche Nebenwirkungen gefunden wurde. Alle Mittel, die bisher auf dem Rücken verschiedener Völker ausprobiert wurden, wirkten ähnlich wie Contergan: Der Kapitalismus war zwar weg, aber vieles andere eben auch.

Mittlerweile hat man jedoch den Eindruck, dass die Ärzte den Kampf gegen die Krankheit aufgegeben hätten. Ganz nach dem Motto ›Lieber krank, als gar nicht mehr am Leben‹ will man sich mit der Krankheit nun arrangieren, statt sie zu bekämpfen. Man schwebt lieber buddhistisch frei im Hier und Jetzt, statt mit Mikadostäbchen gegen Windmühlen anzurennen. Und mit dem Euro haben wir scheinbar ein Mittel gefunden, mit dem sich die Agonie noch ein wenig verlängern lässt.

Der Euro übt aber nicht nur auf Spekulanten eine magische Anziehungskraft aus, sondern auch auf Kinder. Immer wenn im Fernsehen über den Euro berichtet wird und die neuen Münzen eingeblendet werden, fragen meine Jungs ganz wissbegierig: Ist das neue Geld schon da?

Und als ich heute ja sagte und vom Geld im Computer anfing, da schüttelten sie nur fassungslos den Kopf und fragten: Nein, ich mein das richtige Geld! Ist das schon da? Was antwortet man da in den nächsten drei Jahren? – Solingen 4. Januar 1999