Das Verursacherprinzip

In der deutschen und der internationalen Rechtsprechung gilt das Verursacherprinzip. Derjenige, der einen Schaden verursacht, muss Wiedergutmachung, z. B. Schmerzensgeld, leisten. Ein einleuchtendes Prinzip. Wenn ich einem Autofahrer, der gerade aus seinem Auto ausgestiegen ist, mit dem Fahrrad die Hacken abfahre, muss ich oder meine Versicherung blechen: zwei abgefahrene Hacken – macht 2.500 DM Schmerzensgeld.

Das gilt auch, wenn es bei der Schuldfrage komplizierter wird. So bot z. B. die Firma Grünenthal Chemie 1970 100 Millionen DM als Entschädigung für die durch das Medikament Contergan geschädigten Kinder an.

Wen aber soll der Hausbesitzer an der Mosel, dem Rhein oder an dem niedersächsischen Rinnsal Hasel verklagen? Wen soll er verantwortlich machen für die feuchte Bescherung in Keller und Erdgeschoss?

Das Problem bei der Verbrechensbekämpfung ist bekanntlich: wo kein Kläger, ist auch kein Beklagter. In diesem Fall ist es anders: Wo jeder schuldig, steht der Kläger dumm da. Die Rindermäster aus Haselünne müssten ja sich selbst verklagen, furzen ihre Hormonrinder das Treibhausgas Methan doch gleich tonnenweise in die Atmosphäre. Die Wirte in den Weinspelunken an der Mosel könnten ihre Gäste verklagen, die trotz Promillegrenze immer mit dem Auto anreisen, um Bacchus zu opfern. Alle zusammen könnten die Benutzer von verbrennungsmotorgetriebenen Nahverkehrsmitteln oder die Verbraucher von konventionell erzeugtem Strom verklagen. Denkbar wäre natürlich auch, die Ölstaaten am Golf zu bombardieren, die uns seit Jahren zwingen, Rohöl zu Spottpreisen anzukaufen.

Die Hausbesitzer in Deutschland und die Verwandten der toten Hüttenbesitzer aus Nicaragua und Honduras könnten natürlich auch Bill Clinton verklagen, der vor einigen Hunderttausend Jahren einmal mit einem ehrgeizigen Umweltprogramm angetreten ist, der sich dann aber dem zwischenmenschlichen Klimaschutz im Oval Office gewidmet hat.

Aber auch bei Nicaragua und Honduras wäre eine Selbstanzeige angebracht. Denn in Buenos Aires lehnen die Entwicklungsländer kategorisch ab, auch nur darüber zu reden, was sie denn zum Schutz des Weltklimas tun könnten. Da die Industriestaaten, die Dreiviertel des Kohlendioxids in die Atmosphäre pusten, nicht die geringsten Anstalten zur Verringerung machen, kann man diese Weigerung der Entwicklungsländer nur schlechten Gewissens verurteilen.

Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund fällt mir in diesem Zusammenhang die Ökosteuer ein. Früher einmal – so rund vor einhunderttausend Jahren – wollte man mit ihrer Hilfe einmal die Ziele von Rio erreichen. Nun soll die Ökosteuer die Lohnnebenkosten senken.

Da man bei Sturm- und Flutkatastrophen vor lauter Verursachern den Schuldigen nicht mehr sieht, könnte man die Ökosteuer natürlich auch dazu verwenden, die Opfer des Klimawandels zu entschädigen. Und das sind bestimmt nicht die wachstumsgeilen Arbeitgeber oder die autogeilen Arbeitnehmer, die so lautstark unter den Lohnnebenkosten zu leiden haben. Und das sind auch nicht die Hausbesitzer an Mosel, Rhein und Hasel, sondern eher die Armen in der Dritten Welt, die sich mit diesem Geld dann endlich auch ein Auto kaufen könnten. – Solingen 4. November 1998