Peter fährt heute nicht

In Nordrhein-Westfalen war der Verkehrsminister gestern Abend nicht mehr in der Lage, wie seine Kollegen in einigen anderen Bundesländern Ozonalarm auszulösen. Da es sich seit Tagen abzeichnet, dass selbst die völlig überhöhten und in Kumpanei mit der Automobil- und Erdölindustrie ausgehandelten Grenzwerte überschritten werden, muss man sich fragen, ob dieser Verkehrsminister lediglich unfähig ist, oder aber die gesundheitlichen Schäden insbesondere von Kindern in sein Gehalt oder seine Wahlchancen mit einkalkuliert. Da es sich um einen sozialdemokratischen Minister handelt, muss man grundsätzlich von beiden Varianten ausgehen. So oder so läuft sein Verhalten auf Wortbruch hinaus. Denn auch ein Verkehrsminister schwört nicht, Schaden von der deutschen Automobilindustrie fernzuhalten, sondern vom deutschen Volk.

Natürlich muss man sich weitere Fragen stellen. Warum gibt es in NRW, einem rot-grün regierten Land, keinen Ozonalarm, obwohl ich das Reizgas bis in den letzten Lungenflügel hinunter kratzen spüre? Herr Vesper scheint sich nur noch für Regenwasserversickerungsanlagen zu interessieren und Frau Höhn ist im Moment, da niemand vom Braunkohletagebau Garzweiler II spricht, im Kabinett nur noch zu statistischen Zwecken anwesend. Wenn Düsseldorf ein Modell für Bonn/Berlin sein soll, dann werden grüne Stammwähler im September wahrscheinlich zu Hause bleiben. Ich kann jedenfalls allen im Lande von dieser Stelle aus zurufen: Habt keine Angst vor Rotgrün! Man merkt den Unterschied wirklich nicht.

Vielleicht tun wir aber auch beiden Unrecht. Dem Verkehrsminister und den grünen Statisten im Kabinett. Es ist doch möglich, dass die Landespolitiker als ehrliche Biedermänner der Meinung sind, dass sie den Behörden und den Polizisten im gesundheitsschädlichen Außendienst den kostspieligen und angeblich sinnlosen Zirkus um den Ozonalarm ersparen könnten. Denn was, so behaupten sie, ändert sich in den anderen Bundesländern durch den Ozonalarm? Das ist natürlich Defätismus. Denn der Ozonalarm sorgt für eine deutliche Entschärfung der Situation, wird doch in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg heute ein eingeschränktes Fahrverbot verhängt, und das gilt für Peter.

Peter, ein alter Freund von mir, wohnt in Mainz und fährt einen Käfer aus den 60er Jahren ohne Kat. Und Fahrzeuge ohne Kat dürfen heute nur fahren, wenn der Fahrer Berufspendler ist oder in Urlaub fährt. Peter ist aber zurzeit arbeitslos, kann also beim besten Willen nicht, wie alle anderen Autofahrer in Deutschland, als Berufspendler durchgehen. Und aus Angst, seinem Käfer könnte etwas passieren, fährt er mit der Karre sowieso nicht in Urlaub. Hinzu kommt, dass er sich gestern beim Griechen den Magen verdorben hat und mit der Rasenden Ursula im Bett liegt bzw. das Klo hütet. Peter muss sein Auto heute also stehen lassen. Wenn das keine Entlastung für unsere Umwelt und die Lungen der Kinder ist, dann weiß ich auch nicht weiter.

Gerade eben rief mich Peter an. Fernsehteams aus der ganzen Republik rennen ihm die Bude ein und wollen von ihm ein Interview. Er war ganz aus dem Häuschen und wusste nicht, was er den Reportern vom Klo aus durchs Schlüsselloch sagen soll. Ich habe ihm ein paar gleichlautende Abschnitte aus den Wahlprogrammen der Parteien durchs Telefon zitiert, damit er ja nichts Falsches sagt. Mit letzter Kraft und unterbrochen von peristaltischen Krämpfen übermittelt er nun der Bevölkerung die Botschaft, dass man aus Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung und aus Sorge für die Umwelt auch mal ein Opfer bringen kann, dass es ihm nichts ausmache, mal einen Tag nicht im Stau, sondern auf dem Klo zu sitzen und so weiter und so fort. Schließlich wird er parteiübergreifend die Weitsicht und das verantwortliche Handeln der Parteien loben, die eine solch vernünftige Ozon-Regelung getroffen hätten. Ich reibe mir natürlich die Hände, weil Peter damit dem Verkehrsminister in NRW, der Peter mit seinem Käfer heute hätte fahren lassen, so richtig eins auswischt.

Vielleicht bekommt Peter für sein vorbildliches Verhalten demnächst sogar das Bundesverdienstkreuz. Naja, eigentlich hätte das ja Kosta, der Grieche mit seinem verdorbenen Gyros verdient, bei dem sich Peter den Flotten Otto geholt hat. Denn eigentlich wollte Peter heute zum Baggersee Mädels aufreißen, und das wäre ja eindeutig eine Urlaubsfahrt gewesen.

Was lernen wir daraus? Ein Tag Durchfall ist leichter zu ertragen, als vier Jahre die geistige Diarrhöe unserer Politiker. – Solingen 12. August 1998