Rückkehr und das Glück des Augenblicks

Vom Reisen in der Zeit

Während man an eine Rückkehr in der Zeit, an Zeitreisen, nicht glaubt, hält man dies im Raum für selbstverständlich. Schließlich jagen wir mit Überschallgeschwindigkeit rund um den Globus von Ort zu Ort. Wer will da schon behaupten, dass Reisen durch den Raum unmöglich sei.

Aber ich rede nicht von einer Raumreise, sondern vom Reisen an Orte, von der Rückkehr an die Orte der Vergangenheit. Da unternehmen Erwachsene zuzeiten sentimentale Reisen in ihre Kindheit, zu den Initiationsorten ihrer Jugend. Und in dem Augenblick, wo sie wieder an die Orte ihrer Kindheit zurückgekehrt sind, merken sie, dass die Orte verschwunden sind. Denn sie existieren gar nicht außerhalb von uns, so dass wir sie mit Hilfe eines Navigationssystems ansteuern könnten.

Orte sind das, was uns an ihnen geschieht. Ein Ort ist die flüchtige, die schicksalhafte Begegnung, das Stolpern über eine Wurzel, das Versteck des ersten Kusses, der Platz des Sieges, das Zimmer der Niederlage. Das Zufällige wird an diesen Orten zu Schicksal gebrannt. Geschehen läutert sich zu Geschick. Jeder Ort hat für uns zwei Gesichter: das des Zufalls und das des Schicksals. An einem Ort gewesen zu sein, ist so unwiderruflich, wie das Geschehen, was an ihm passierte.

Ein solcher Ort existiert nur in der Erinnerung. Und dort ordnen wir die Orte und ihr Geschehen neu, nach einer nur für uns gültigen Topographie. Wir teilen den Orten und den Geschehnissen in unserer Erinnerung einen neuen Raum und eine neue Zeit zu und machen sie uns damit ganz zu Eigen. Deshalb ist Rückkehr Ankunft im Fremden. Die wieder aufgesuchten Orte unserer Kindheit fügen sich nicht in die Landkarte unserer Erinnerung. Wir stehen außen vor, haben unseren Ort verloren und werden melancholisch.

Im Traum gelingt uns mit der Rückkehr an den Ort der Kindheit auch die Rückkehr in der Zeit, was uns einen Augenblick vollkommenen Glücks beschert. Und ganz selten erleben wir einen solchen Glücksmoment auch bei vollem Bewusstsein.

Der Kick mit dem Po

In der S-Bahn hörte ich einmal einem Gespräch zu. Eine Frau hinter mir erzählte ihrer Freundin von einer gelungenen Reise durch die Zeit. Sie war nach 15 Jahren zufällig auf einem Spaziergang zu dem Haus ihrer Großeltern zurückgekehrt, ein Reihenhaus aus den 50er Jahren. Es war außen vollständig renoviert worden, und sie hätte es beinahe nicht wiedererkannt. Nur die Haustür war die gleiche geblieben. Man hatte sie lediglich frisch gestrichen.

Da erinnerte sie sich, dass man die Haustür durch einen bestimmten Stoß mit dem Po öffnen konnte. Kräftiges Rütteln und Drücken richtete dagegen gar nichts aus, die Tür blieb zu. Es musste dieser gewisse Kick mit dem Hinterteil sein. Natürlich wurde die Frau von der Tür magisch angezogen. Sie schaute sich um. Niemand beobachtete sie. Sie drehte langsam ihren Po zur Tür und versetzte ihr mit gekonntem Hüftschwung – gelernt ist gelernt – eben diesen besonderen Kick – und die Tür sprang auf. In diesem Moment, als sie spürte, wie die Tür mit dem wohlbekannten klackenden Geräusch aufsprang, war sie wieder das kleine Mädchen von damals und ihre Großeltern lebten noch. – Solingen, 29. Juni 1998